Deutschland

Terrorverdacht in Chemnitz: Flughafen war wohl Anschlagsziel

In dem Haus in Chemnitz fand die Polizei in einer Wohnung auch den Sprengstoff TATP.
© dpa/Hendrik Schmidt

Jetzt ist es offiziell: Der in Sachsen gefasste Terrorverdächtige hatte offenbar Kontake zur Extremistenmiliz IS.

Dresden, Leipzig – Am Freitag fand die Polizei Sprengstoff in einer Wohnung in Chemnitz, Montagfrüh wurde der mutmaßliche Terrorist in Leipzig festgenommen. In einer Pressekonferenz gaben die Ermittler erste Details bekannt. Der 22-Jährige hat offenbar Kontakte zum IS. „Vorgehensweise und das Verhalten des Verdächtigen sprechen für einen IS-Kontext“, sagte Jörg Michaelis, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Sachsen. Der Syrer wurde am frühen Nachmittag dem Haftrichter in Dresden vorgeführt. Der Haftbefehl wurde verkündet und den Vollzug angeordnet, sagte ein Sprecher der Karlsruher Bundesanwaltschaft

Jaber A. wollte nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wohl einen Flughafen in Berlin attackieren. „Wir hatten Hinweise – nachrichtendienstliche Hinweise –, dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte. Zuletzt konkretisierte sich dies mit Blick auf Flughäfen in Berlin“, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am Montag der ARD.

Parallelen zu Frankreich und Belgien

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere sieht im Fall des Chemnitzer Terrorverdächtigen Parallelen zu den Anschlägen von Frankreich und Belgien. „Die Vorbereitungen in Chemnitz ähneln nach allem, was wir heute wissen, den Vorbereitungen zu den Anschlägen in Paris und Brüssel“, sagte er. Deutschland stehe „unverändert im Zielspektrum des internationalen Terrorismus“, sagte der Innenminister. „Die Ermittlungen zeigen, dass solche Taten, wie wir sie in Frankreich und Belgien gesehen haben, auch in Deutschland nicht auszuschließen sind.“

LKA-Leiter Michaelis bestätigte, dass in einer Wohnung in Chemitz, in der sich der 22-jährige Syrer vermutlich aufgehalten hatte, Metallteile, mehrere Hundert Gramm Sprengstoff und auch der Sprengstoff TATP gefunden wurde. Den hochexplosive, instabile Stoff verwendeten auch die Attentäter von Paris und Brüssel. Eine Probe sei genommen worden. Den Großteil der gefährlichen Substanz sei von Sprengstoffexperten „kontrolliert entsorgt“ worden.

Geheimdienste kamen auf die Spur des Syrers

Auf die Spur des mutmaßlichen Terroristen war die sächsische Polizei nach Informationen der Geheimdienste gekommen. Anfang September hatte der Verfassungsschutz „aus nachrichtendienstlichem Aufkommen“ einen Hinweis bekommen, dass die Organisation „Islamischer Staat“ (IS) in Deutschland einen Terroranschlag gegen Infrastruktur plane, sagte Verfassungsschutzpräsident Maaßen Montagabend in der ARD. „Wir haben (...) bis Donnerstag letzter Woche gebraucht, um herauszufinden: Wer ist dafür in Deutschland verantwortlich?“, so Maaßen. Dann sei der Verfassungsschutz in der Lage gewesen, die gesuchte Person zu identifizieren.

Jaber A. habe demnach einen Sprengstoffanschlag vorbereitet. Er habe dafür im Internet recherchiert und sich bereits Grundstoffe besorgt. Nach den Informationen, die die sächsische Polizei am Freitag erhielt, sei zu befürchten gewesen, dass der Sprengsatz – möglicherweise eine Sprengstoffweste – kurz vor der Fertigstellung sei, berichtete der LKA-Leiter.

Die Einsatzkräfte hätten zwar gewusst, in welchem Haus, nicht aber in welcher Wohnung sich der 22-Jährige aufgehalten habe. Das Gebäude wurde observiert, schließlich sei eine Wohnung ins Visier geraten. Doch es sei nicht sicher gewesen, dass sich Jaber A. tatsächlich dort aufhielt. Wäre er zudem auf die Polizeiaktion aufmerksam geworden, hätte er den Sprengstoff zünden können. Die Gefahr für Einsatzkräfte und Unbeteiltigte wäre zu groß gewesen. „Ein unkalkulierbares Risiko“, sagte Michaelis. Die Entscheidung fiel auf einen „Zugriff außerhalb“.

Während der Vorbereitungen Samstagfrüh verließ ein Verdächtiger das Mehrfamilienhaus. Aus der Ferne hätten Beamte den Mann beobachtet und ihn aufgefordert, stehenzubleiben. Der Unbekannte flüchtete, die Beamten gaben einen Warnschusss ab. „Ein Schuss auf ihn war zu riskant, da sich Unbeteiligte in der Schussrichtung aufhielten“, erklärte der LKA-Leiter. Der Verdächtige konnte flüchten, eine Fahndung verlief negativ.

Syrer überwältigten den Verdächtigen in Leipzig

Sofort wurden Wohnungen in dem Haus evakuiert. Mit einer Zugangssprengung öffnete das SEK die verdächtige Wohnung. Der Syrer war nicht mehr da. Die Spurensicherung in Chemitz dauerte auch am Montag noch an. „Ein Ende ist nicht in Sicht“, hieß es von Seiten der Polizei Dresden.

Das ganze Wochenende wurde mit Hochdruck nach dem flüchtigen Syrer in ganz Deutschland gesucht. In der Nacht auf Montag kam dann der entscheidende Hinweis aus Leipzig: Zwei Landsleute hatten den jungen Syrer erkannt, mit in ihre Wohnung genommen, überwältigt und gefesselt. Dann riefen sie die Polizei. „Weitere Details geben wir dazu nicht bekannt, auch zum Schutz der beiden Zeugen“, erklärte Michaelis.

Der 22-jährige Syrer kam im Februar 2015 nach Deutschland. Er sei in München als Flüchtling registriert worden und dann nach Chemnitz gebracht worden. Er habe eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmingung erhalten. „Über ihn waren keine besonderen Auffälligkeiten bekannt“, sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbich.

Ein möglicher Komplize des 22-Jährigen kam in Untersuchungshaft. Der 33-Jährige war der Mieter der Chemnitzer Wohnung. Er ist ebenfalls Flüchtling und war Mitte Juli aus Nordrhein-Westfalen nach Chemnitz gezogen, erklärte Ulbich.

Mehr als 700 Polizisten, Ermittler und Beamte waren laut dem LKA-Leiter Michaelis am Wochenende im Einsatz. „Wir haben jetzt einen Berg an Ermittlungen vor uns. Eine Ermittlingsgruppe mit dem BKA wird eingerichtet.“

Die Bundesanwaltschaft führt die Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Der 22-Jährige habe einen islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland geplant und bereits konkret vorbereitet. Erkenntnisse dafür, dass Jaber A. schon ein konkretes Ziel ins Auge gefasst habe, lägen aber derzeit nicht vor, teilte die Behörde mit. Die Bundesanwaltschaft habe die Ermittlungen „wegen der besonderen Bedeutung des Falles“ übernommen, hieß es. (smo, dpa)