Eine schrecklich chaotische Familie als Livespektakel
Statt einer leichten Komödie über manisch-depressive Störungen gelingt Dany Levy mit „Die Welt der Wunderlichs“ nur manisches Kino.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Aus nachvollziehbaren Gründen lesen Schauspieler nach dem Erhalt eines Drehbuchs erst einmal ihre Rolle, um sich über die Attraktivität des Angebotes klar zu werden. Manche belassen es dabei, um sich anschließend wundern zu müssen, welchem Unfug sie sich leichtfertig ausgesetzt haben. Im günstigen Fall lecken sie sich bei der Vorstellung einer bevorstehenden Verwandlung, die Arbeit und Leben verändern wird, die Lippen feucht. So kann man sich Jack Nicholson nach der Lektüre von „Einer flog über das Kuckucksnest“ vorstellen, so ähnlich könnte sich auch Peter Simonischek gefühlt haben, als ihn vor zwei Jahren zwei Drehbücher erreichten, die einem Schauspieler mit Humor und Risikobereitschaft die Möglichkeit boten, alle Register für Komik und Tragik zu ziehen. Im Fall von Maren Ades „Toni Erdmann“ ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass Simonischek im kommenden Februar auf der Oscarbühne ein falsches Gebiss zücken wird. Das zweite Drehbuch kam vom Schweizer Regisseur Dany Levy und hatte damals noch den Titel „Der kleine Diktator“.
Nach der Doppelrolle als Vater und Fantasiefigur in „Toni Erdmann“ offerierte auch Levy dem Burgtheaterstar einen Charakter mit zwei Persönlichkeiten, die durch ihre Stimmungsschwankungen zu unterscheiden sind und Feingefühl verlangen, soll der Charakter nicht abschmieren. Als Walter Wunderlich muss er binnen Sekunden vom Manischen ins Depressive wechseln. Einmal verlangt das die bipolare Störung, ein anderes Mal schützt das Spiel vor Verhaftung. Die Polizei hetzt ihm seine Tochter Mimi (Katharina Schüttler) an den Hals, denn der alte Mann ist aus der Psychiatrie geflüchtet, um mit den Ersparnissen seines Enkels der Wettleidenschaft zu frönen. Der kleine Felix (Ernst Wilhelm Rodriguez) ist der Diktator der Familie, den die ADHS-Diagnose vor Strafe schützt. Keine Unterstützung kann Mimi von ihrem Exmann Johnny (Martin Feifel) erwarten. Der abgetakelte Schlagerfuzzi, dem Ruhm und Kajal aus dem Gesicht rinnen, hat sich dem Alkohol ergeben. Mimis Mutter Liliane (Hannelore Elsner) suhlt sich in den Erinnerungen an ihre Zeit als Schlagersängerin und ebenfalls in einer bipolaren Störung.
Da Mimi wegen ihrer aufreibenden Einsätze als Sozialarbeiterin ständig ihre ohnehin prekären Beschäftigungen wechseln muss, bewirbt sich Felix im Namen seiner Mutter bei der Castingshow „Second Chance“, denn auch Mimi war einmal – Überraschung – in der Schlagerbranche zu Hause. Für die Redakteure der Show enthält die Welt der Wunderlichs alle Zutaten für eine zynische Abendunterhaltung. Das soziale Drama einer Familie zwischen Chaos und Nervenzusammenbruch als Livespektakel. Fast wie im richtigen Leben gibt Arabella Kiesbauer die Moderatorin, Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein bilden die Jury.
Diesem Format steht Dany Levy hilflos gegenüber. „Die Welt der Wunderlichs“ wird zu einem Akt der Verzweiflung. Der Versuch, den Erfolg der Komödie „Alles auf Zucker“ (2005) zu wiederholen, ist nur manisches Kino.