„Friedenstaube“ Santos geht aufs Ganze
Bogota/Caracas (dpa) - Juan Manuel Santos will es jetzt wissen. Der Friedensnobelpreis für Kolumbiens Präsidenten ist zwar ein Preis für ein...
Bogota/Caracas (dpa) - Juan Manuel Santos will es jetzt wissen. Der Friedensnobelpreis für Kolumbiens Präsidenten ist zwar ein Preis für einen Frieden, den es noch gar nicht gibt, Rückschläge pflastern seinen Weg. Quasi ein Vorschuss. Doch Santos will das gute Momentum nutzen - er hat seinen Unterhändler Mauricio Rodríguez nach Venezuela geschickt.
In der Hauptstadt Caracas wird auf neutralem Boden mit dem ELN-Guerillero Pablo Beltrán ein neues Kapitel im Ringen um Frieden in dem nach über 220.000 Toten so kriegsmüden Land aufgeschlagen.
Der Auftritt der Beiden in Caracas ist kurz, es werden drei Punkte verlesen: Beginn der Verhandlungen zwischen Regierung und der „Nationalen Befreiungsarmee“ („Ejercito de Liberacion Nacional“ - ELN) am 27. Oktober in Ecuadors Hauptstadt Quito, unterstützt von Venezuela, Ecuador, Kuba, Chile, Brasilien und dem traditionell in solchen Konflikten vermittelnden Nobelpreisland Norwegen. Bis dahin sollen weitere Geiseln freigelassen werden, eine der Hauptforderungen der Regierung. Daran war ein erster Anlauf im März noch gescheitert.
Es sind bewegte Wochen in Kolumbien: Es geht um das Ende des letzten großen Konflikts in der westlichen Hemisphäre. Waffenstillstand und Friedensvertrag mit der FARC (noch 5.800 Kämpfer), dann scheitert der Vertrag bei der Volksabstimmung knapp. Ein Grund: den Kritikern sind maximal acht Jahre Haft oder Arrest für schwerste Verbrechen zu milde. Dann der Friedensnobelpreis, nun die Verhandlungen mit der ELN (noch 1.300 bis 2.000 Kämpfer). Die ELN gelten als ein Schlüssel für einen wirklichen, stabilen, umfassenden Frieden. Denn zuletzt mehrten sich die Berichte, wonach die ELN-Rebellen in frühere FARC-Gebiete eindrangen und dort versuchten, bisherige Kämpfer der „Konkurrenz“ abzuwerben. So würde sich der bewaffnete Kampf nur verlagern und bestimmte Regionen Kolumbiens würden weiter nicht befriedet sein.
Die Zähigkeit von Santos, der als Verteidigungsminister unter Präsident Alvaro Uribe ab 2006 noch die Guerillagruppen gnadenlos bombardieren und bis in das Nachbarland Ecuador jagen ließ, ist es, die das Nobelpreiskomitee so beeindruckt hat. Die Wandlung vom Falken zur Friedenstaube, die Einsicht, dieser asymmetrische Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen. Er spricht direkt nach der Kunde aus Caracas. „Das wäre ein vollständiger Frieden“, appelliert er. „Die Augen der Welt sind auf uns gerichtet. Sie erwarten das Beste.“
Nun muss aber auch er liefern. Die Gegner des FARC-Abkommens stellen Bedingungen - Ex-Präsident Uribe ist zum Gegenspieler mutiert. Er fordert strengere Strafen, Gefängnis statt der Option Arrest auf ländlichen Farmen. Eliminierung der Koka-Plantagen und er stemmt sich dagegen, dass Verbrechen beschuldigte FARC-Führer künftig bei Wahlen antreten dürfen. Doch Santos gibt sich siegessicher, dass er einen Kompromiss erzielen wird, der auch im Volk eine Mehrheit findet. Dass nun auch die ELN verhandeln will, kann Santos dabei sicher helfen.
Als Zeichen des guten Willens ließ die ELN wenige Stunden vor der historischen Ankündigung einen Bauer im Grenzgebiet zu Venezuela frei, er war seit drei Monaten in ihrer Gewalt. Immer wieder hatte es die ELN auch auf Ausländer abgesehen. 2004 kam es zur Entführung von acht Touristen in der indigenen Ruinenstadt Ciudad Perdida - die nach über 70 Tagen befreite Deutsche Reinhilt Weigel musste später für die Kosten ihrer Befreiung aufkommen, wie ein Gericht entschied. Die Bundesrepublik Deutschland hatte von ihr 12.640 Euro für einen Hubschrauberflug aus dem Rebellengebiet in Kolumbiens Hauptstadt Bogota verlangt.
Gegründet wie die aus der aufständischen Bauernbewegung entstandene FARC 1964, hat die ELN ihren Kern in einer linken intellektuellen Bewegung. Sie orientierte sich zunächst an Kubas Sozialismusmodell. Später schlossen sich viele von der Befreiungstheologie geprägte Geistliche der Gruppe an. Bis 1998 wurde sie von dem spanischen Priester Manuel Perez geführt. Sie ist heute vor allem im Osten aktiv und verübt oft Anschläge auf die Infrastruktur, wie Öl-Pipelines.
Santos zitiert in seiner Rede zu den ELN-Verhandlungen am Ende den Brief eines kleinen Mädchens namens Camila aus der Gemeinde Bojaya, wo 2002 79 Menschen bei einem FARC-Angriff auf eine Kirche starben. „Wir wollen keine Gewalt mehr. Wir wollen gute Gesundheitsversorgung, Bildung.“ Santos verspricht ihr: „Wir werden den Frieden schaffen.“ Er hat seinen Preis allen Kolumbianern gewidmet. Und das Preisgeld von rund 830.000 Euro will er den Opfern des Endloskrieges spenden. Am Revers des Jackets trägt er jetzt immer die weiße Friedenstaube.