Meister des Stillstands: Christoph Marthaler wird 65
Wien (APA/dpa) - Der Zeit beim Vergehen zusehen. Unter diesem Motto könnten die Theaterabende von Christoph Marthaler stehen. Der Schweizer ...
Wien (APA/dpa) - Der Zeit beim Vergehen zusehen. Unter diesem Motto könnten die Theaterabende von Christoph Marthaler stehen. Der Schweizer Regisseur ist ein Meister des absurden Stillstands, des Ausharrens. Tragik und Komik - selten liegen sie so nah beieinander wie bei Marthaler. Am Montag (17. Oktober) wird der Theatermacher nun 65 Jahre alt.
Marthaler hat eine ganz eigene Bühnensprache entwickelt, die ohne Musik und Gesang nicht vorstellbar ist. Von seinen Zuschauern fordert der Regisseur immer auch eine gewisse Geduld, Ausdauer und Hingabe. In den berühmten tristen „Wartesälen“ seiner Bühnenbildnerin Anna Viebrock passiert oft erst einmal nicht viel. Auf eine Handlung oder Dialoge verzichtet Marthaler meist gänzlich. Dafür macht die Musik das Seelenleben der sorgsam über den Raum verteilten Figuren sichtbar.
Einer der verdrucksten Charaktere steht dann unvermittelt auf, nimmt ein Instrument zur Hand, beginnt vorsichtig zu musizieren - um genauso plötzlich wieder aufzuhören. Fast rituell werden Bewegungen bis zur Absurdität wiederholt. Die Marthaler-Menschen sind tief verstrickt in ihre inneren und äußeren Zwänge zwischen aufwallenden Gefühlen und müder Resignation. Marthalers Helden scheinen auf den ersten Blick alle Verlierer zu sein. Es ist ein sanft ironischer Blick auf den scheinbar macht- und zahnlosen Menschen im großen Welt- und Zeitgefüge. Doch im melancholischen Theater-Universum des Schweizers kann der Zuschauer von diesen Scheiternden das echte Leben lernen.
Das bewies Marthaler auch mit seiner jüngsten Arbeit, mit der er an der Berliner Volksbühne an seine Anfänge anknüpfte. Vor 23 Jahren gelang Marthaler, der nur sehr selten Interviews gibt, mit seiner ersten Volksbühnen-Inszenierung „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ der große Durchbruch. Sein „patriotischer Abend“ über deutsche Geschichte, Geschichten und Mentalitäten machte Marthalers außergewöhnliche, neuartige Theatersprache bekannt und berühmt.
Der 1951 in Erlenbach im Kanton Zürich geborene Marthaler ist ausgebildeter Oboist und beherrscht zahlreiche weitere Instrumente. Ab 1988 provozierte er am Theater Basel mit Betrachtungen des „Schweizertums“ seine Eidgenossen. Nach dem Berliner „Murx“-Erfolg folgten Inszenierungen am Schauspielhaus Hamburg, am Theater Basel und an der Volksbühne - darunter „Die Stunde Null oder Die Kunst des Servierens“, „Goethes Faust Wurzel 1+2“, „Drei Schwestern“ und „Kasimir und Karoline“.
Von 2000 bis 2004 war Marthaler Intendant des Schauspielhauses Zürich, das in dieser Zeit zwei Mal „Theater des Jahres“ wurde. Er holte die Regisseure Frank Castorf, Christoph Schlingensief und Stefan Pucher, setzte ganz auf Gegenwartsdramatik und moderne Interpretationen - und verschreckte so das Abonnementspublikum. Nach viel Krach ums Geld, schwindenden Zuschauerzahlen und einer Kündigungsandrohung durch den Verwaltungsrat des Theaters verließ Marthaler das Haus aus eigenem Willen vorzeitig. Seither arbeitet er als freier Regisseur.
Fast zum Stillstand kam das Marthaler-Theater 2011 bei dem nach einer Grönland-Expedition entstandenen Stück „+/-0 Ein Subpolares Basislager“, das auch bei den Wiener Festwochen zu sehen war. Das Publikum reagierte etwas unterkühlt. Großen Erfolg hatte Marthaler dagegen im selben Jahr mit seiner Opernpremiere von Janaceks „Die Sache Makropulos“ bei den Salzburger Festspielen. Das Stuttgarter Opernpublikum verzückte Marthaler in diesem Frühjahr mit seiner Interpretation von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Die nächsten Premieren in Hamburg und München stehen schon an. Und im Jahr 2018 wird Marthaler gemeinsam mit Intendantin Stefanie Carp die Leitung der Ruhrtriennale übernehmen.