Äthiopien - Angst vor „Feinden“ im Inneren und von außen
Addis Abeba (APA/AFP) - Im Vielvölkerstaat Äthiopien brodelt es seit langem. Derzeit sind die Unruhen und Proteste so vehement, dass Kommuni...
Addis Abeba (APA/AFP) - Im Vielvölkerstaat Äthiopien brodelt es seit langem. Derzeit sind die Unruhen und Proteste so vehement, dass Kommunikationsminister Getachew Reda „historische Feinde“ dafür verantwortlich macht. Diese Feinde hätten „Terroristen eingeschleust“, sagt Getachew. Der naheliegendste historische Feind ist Eritrea, das sich 1993 nach einem drei Jahrzehnte währenden Krieg von Äthiopien abspaltete.
Aber auch Ägypten wird von Getachew zu den äußeren Feinden gerechnet, weil es die Oromo-Befreiungsfront (OLF) im nordostafrikanischen Äthiopien unterstütze - wobei es sich aus Sicht der Regierung um eine terroristische Gruppierung handelt.
Im Kampf gegen äußere und innere Feinde verschwimmen die Grenzen. Die Volksgruppen der Oromo und der Amhara stellen zusammen mehr als 60 Prozent der Gesamtbevölkerung von 100 Millionen Äthiopiern. Das Sagen aber hat die Minderheit der Tigray, die nur sechs Prozent der Bevölkerung ausmacht. Doch die im Norden des Landes beheimateten Tigray besetzen den Großteil der Schlüsselpositionen in der Regierung und in den Sicherheitskräften.
Im November 2015 begannen breite Proteste der Oromo, die sich auf die Amhara ausweiteten. Nach Erhebungen der Vereinten Nationen wurden infolge der Maßnahmen zur Unterdrückung der Proteste 600 Menschen getötet. „Wir sind entsetzt über die Hinweise auf Massentötungen, tausende von Verletzten, zehntausende von Festnahmen und das Verschwindenlassen von Hunderten“, erklärte die UN-Sonderberichterstatterin Agnes Callamard.
Die Gewaltspirale drehte sich weiter, als die Polizei am 2. Oktober gegen Teilnehmer einer religiösen Zeremonie der Oromo in der Stadt Bishoftu Tränengas einsetzte. Dies löste eine Massenpanik aus, bei der mehr als 50 Menschen ums Leben kamen. Seither hätten Aufständische mehr als ein dutzend Farmen in Brand gesetzt und fünf Firmen zerstört, sagte Kommunikationsminister Getachew. Daraufhin verhängte die Regierung am Sonntag, zwei Tage vor dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Addis Abeba, den Ausnahmezustand.
Die Erklärung des Ausnahmezustandes sei nichts anderes als die juristische Anerkennung einer ohnehin bestehenden Lage, befindet der Völkerrechtsexperte Henok Gabisa von der Washington and Lee University. „Das Land befindet sich in genau diesem Ausnahmezustand, seit der Protest erstmals einsetzte.“ Die Regierung in Addis Abeba werde den Ausnahmezustand als „legalen Deckmantel für Massenmorde, Massenverhaftungen und das Abschalten der Medien“ missbrauchen.
Äthiopien steht auf dem vorletzten Platz einer Liste der Nichtregierungsorganisation Committee to Protect Journalists (CPJ) über die Pressefreiheit in Afrika. Die Regierung in Addis Abeba werde „von einer ethnischen Minderheit kontrolliert, die der Mehrheit ihren Willen aufzwingt“, sagte der Politikwissenschaftler Getachew Metaferia von der Morgan-Universität in Baltimore. „Mit der Bevölkerung wird nicht geredet und diskutiert.“
Die oppositionellen Oromo versicherten kürzlich, den Demonstranten gehe es darum, ihre Freiheit zurückzuerlangen, sie seien mit keiner Partei verbunden. Die Proteste würden weitergehen und nicht aufhören: „Dies ist eine Intifada.“