Räumung des Flüchtlingslagers von Calais rückt näher

Calais (AFP) - Der Tag X rückt näher. Im Flüchtlingslager von Calais, dem berüchtigten „Dschungel“ am Ärmelkanal, ist das deutlich spürbar. ...

Calais (AFP) - Der Tag X rückt näher. Im Flüchtlingslager von Calais, dem berüchtigten „Dschungel“ am Ärmelkanal, ist das deutlich spürbar. Bei den Flüchtlingen wächst vor der angekündigten Räumung des Lagers die Unruhe. An den Essensausgaben werden die Schlangen kürzer, denn viele Bewohner verlassen das Lager jetzt schon.

Und Hilfsorganisationen rufen zur Spende von Koffern und Reisetaschen auf, damit die Menschen ihre wenigen Habseligkeiten mitnehmen können.

„Seit einem halben Jahr sagt man uns, dass es mit dem ‚Dschungel‘ bald vorbei sein wird“, berichtet ein Flüchtling aus Pakistan. „Alle hier wissen, dass wir bald wegmüssen, und jeder fragt sich, was er macht.“

Bald soll der „Dschungel“ von Calais, das slumähnliche Lager im Norden Frankreichs, also verschwinden: Staatschef François Hollande hat angekündigt, das Lager bis Jahresende „endgültig aufzulösen“. Einen Termin für den Beginn der heiklen Operation haben die Behörden noch nicht genannt, als mögliches Datum gilt aber der kommende Montag. Dann sollen die Zelte und Hütten des Lagers abgerissen, die Bewohner in Unterkünfte im ganzen Land gebracht werden.

Doch allen ist bewusst, dass die Lagerräumung noch lange kein Ende der Flüchtlingskrise in der Küstenregion bringen wird. Denn Calais ist für die meisten der inzwischen 7000 bis 10.000 Bewohner des Lagers nur als Zwischenetappe auf dem Weg zu ihrem wahren Ziel gedacht: das auf der anderen Seite des Ärmelkanals liegende Großbritannien. „Calais wird Calais bleiben - das einfachste Eingangstor nach Großbritannien“, sagt ein Beobachter.

„Für mich ist England das einzige Ziel“, sagt auch der sudanesische Flüchtling Aldon. „Ich bleibe hier, solange ich kann. Und wenn sie das Lager abreißen, dann werde ich mich nicht zu weit von hier entfernen.“

Viele Flüchtlinge könnten sich in der Region verteilen, wenn das Lager abgerissen wird. Der Leiter der Hilfsorganisation L‘Auberge des Migrants (Die Herberge der Flüchtlinge), Christian Salome, warnt, dass die Menschen dann „in öffentlichen Parks, unter Brücken, in den Feldern“ leben müssen.

Salomes Organisation sammelt deswegen nicht nur Koffer und Reisetaschen für diejenigen Flüchtlinge, die einer Unterbringung in Unterkünften in anderen Landesteilen zustimmen. Die Helfer wollen bald auch wieder Zelte und Schlafsäcke verteilen - für die Flüchtlinge, die sich alleine oder in kleineren Gruppen in der Region Calais durchschlagen wollen.

Den Behörden bereitet derweil die Räumung des Lagers selbst Kopfzerbrechen. „Politisch, juristisch und logistisch ist das eine riskante Operation mit vielen Unbekannten“, sagt ein Vertreter.

Befürchtet wird Gewalt wie im März, als bereits der südliche Teil des „Dschungels“ geräumt wurde. Damals lieferten sich Flüchtlinge und Aktivisten heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei, zahlreiche Hütten gingen in Flammen auf. Um die Welt gingen auch Bilder von iranischen Flüchtlingen, die sich aus Protest gegen die Teilräumung den Mund zunähten.

Solche Szenen wollen die Behörden unbedingt vermeiden. Die Räumung soll deswegen möglichst schnell über die Bühne gehen, „in höchstens einer Woche“, heißt es. Dutzende Polizisten werden die Auflösung des Lagers absichern, 50 bis 60 Busse die Flüchtlinge wegbringen. Unklar ist noch, wie lange die vom Staat am Rande des „Dschungels“ aufgestellten Wohncontainer mit Platz für 1500 Flüchtlinge bleiben sollen.

Für Streit sorgt unterdessen auch die geplante Verteilung der Flüchtlinge von Calais auf Unterkünfte im ganzen Land. Die oppositionellen Konservativen von Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy, bei denen Ende November der Präsidentschaftskandidat für das kommende Jahr gewählt wird, machen die Flüchtlingskrise zum Wahlkampfthema und polemisieren gegen die Umverteilung: Es drohten landesweit neue „Mini-Calais“.