Blick von Außen

Über die Wertvorstellung

Der Betrachter und das Kunstwerk (Andy Warhol, Dollar Sign, 1981)
© www.picturedesk.com

Gedanken zur Nähe zwischen Geld und Kunst, zwischen den seltsamen Wechselwirkungen zwischen Finanzmarkt und Kunstmarkt. Bis hin zum Kunstwerk als Reservewährung.

Von David Gulda

Das Geld und die bildende Kunst scheint wenig mehr zu verbinden als die Höchstpreise, die manch strahlende Werke bei Auktionen erzielen und die raffinierten Ornamente, die Geldscheine zieren. Doch sind sie auf abstrakter Ebene enger verwandt, als sich im so Konkreten zeigt.

Das valorisierte Profane

: David Gulda
© Berger

Geld ist ein so alltäglicher Gebrauchsgegenstand, dass sein Mysterium, das in einem unbewussten Credo steckt, meist unentdeckt bleibt. Es besteht aus dem Glauben der Menschen an jene Symbole, die sie zu Geld erklären, und an die Zeichen, die sich darauf befinden. Muscheln, Tontafeln oder Kerbhölzer dienten schon als Geld wie später Gold-, Silber- oder Kupfermünzen und Papier. Dabei soll niemand meinen, dass etwa edles Metall dem Geld Wert verlieh. Vielmehr war und ist es umgekehrt. Das Geld misst den Wert des Goldes. Als Ursache braucht Ersteres die Wirkung des Letzteren nicht, um zu bestehen. Deshalb funktionieren Währungen ohne Goldstandard. Überdies wird das Geld heute ohnehin meist durch Buchungszeilen repräsentiert. Deren Virtualität verdeutlicht besser als jedes noch so gewöhnliche Material, dass alles zu Geld werden kann, dem die Menschen Wert beimessen, vorausgesetzt, sie anerkennen es durch Verwendung. Selbst eine banale Zeile wird, als Ausdruck einer Forderung, so zu Geld.

Ähnliches geschieht, wenn Farbflächen von Kasimir Malewitsch über Yves Klein bis Gerhard Richter, ein Urinal oder Fahrradrad von Marcel Duchamp oder, zeitgenössischer, Wade Guytons Inkjetdrucke als Kunstwerke Anerkennung finden. Für diesen wundersamen Vorgang hat Arthur C. Danto die schöne Formulierung von der „Verklärung des Gewöhnlichen“ gefunden, und in dieselbe Kerbe schlägt sein Philosophenkollege Boris Groys, der meint, dass Neues nur durch gesellschaftlichen Diskurs in die Sphäre des Kulturellen erhoben werde, um dort, vielleicht, den Rang von Kunst zu erlangen.

Geld und Kunst entstehen durch die Valorisierung des Profanen, durch die erstaunliche Aufwertung von an sich Schnödem oder Schlichtem. Dies geschieht im kommunikativen Austausch zwischen den Menschen, die einander in ihrer Wertschätzung des einen wie des anderen in gegenseitigen Rückkopplungen bestärken. Die Wandlung vollzieht sich im sozialen Prozess.

Wortschöpfung(en)

„Im Anfang war das Wort“, heißt es am Beginn des Johannesevangeliums. Und wie gemäß der Überlieferung die Welt durch das Wort des Herrn aus dem Nichts entstand, so werden Geld und Kunst auch als creatio ex nihilo erschaffen. Durch das – menschliche – Wort.

Das Geld trägt es als Zeichen auf sich und das Wort ist das Zeichen, auch wenn es eine Zahl ist. Mit bewusstem Bezug zum biblischen „Fiat Lux“ wird das aus dem Nichts geschöpfte Geld „Fiat Money“ genannt. Banken erzeugen es immer, wenn sie Kredit geben – und es spricht für sich, dass das Wort „Kredit“ vom lateinischen „credere“ für glauben oder vertrauen abstammt. Geld wächst aus dem Glauben daran.

Und in der Kunst? Nicht nur Alighiero Boetti, Jenny Holzer, Heimo Zobernig und andere, die das Wort buchstäblich künstlerisch verarbeiten, machen es zum bildhaften Werk, sondern am Anfang jedes Kunstwerks steht die in Worten gedachte Idee des Künstlers, die er seiner Arbeit einhaucht, auf dass sie durch sein Medium zum Betrachter finde. Und wenn die Idee stark genug ist und der Betrachter sensibel, hat das gewöhnlichste Medium das Zeug zum Kunstwerk, wobei dann, streng genommen, nicht das Medium die Kunst ist, sondern die Idee, die sich zwecks Veranschaulichung in einem Bild, einer Skulptur, einer Rauminstallation oder eben in einem Alltagsobjekt verkörpert. So ist das Wort beim Werk und das Werk ist Wort.

Und wenn die Tinte von Kugelschreibern, aus der ebenso gut Gedichte oder Romane entstehen könnten, von Herbert Hinteregger als Farbe benutzt wird, um seinen „abstrakten“ Impressionismus auf Leinwand, Loden oder Jeansstoff zu bringen – zu schreiben, könnte man sagen –, dann ist die Tinte, mehr noch als andere Farbe, geronnenes Wort. Zu Streifen geformt. Die leeren Hüllen der Kugelschreiber verweisen auf den Weg, den die Idee vom Kopf des Kreators auf die Malfläche genommen hat, wenn sie der Künstler, in bester Objets-Trouvés-Manier, als wären sie dem Müll entrissene Gegenstände, zu spannenden Rauminstallationen vereinigt. Eine solche ist derzeit im Lienzer RLB Atelier zu sehen. Sie hebt das Gewöhnliche in die Sphäre der Kunst und vermittelt absichtsvolle Rückverweise zwischen Fülle und Leere, Wort und Idee, Form und Material.

Von Idee und Form

Über den genauen Zusammenhang, in dem die Idee zu ihrer Verkörperung steht, waren sich schon die beiden größten klassischen Denker, Platon und Aristoteles, nicht einig.

Platon meinte, dass es überweltlich eine Anzahl von Wesenheiten („Ideen“) gäbe, von denen die wahrnehmbaren Gegenstände nur schattenbildhafte Wiedergaben seien, weshalb er die Kunst als nochmalige Nachahmung geringschätzte. Dagegen dachte Aristoteles, dass das Wesen eines Gegenstandes diesem selbst innewohne, weshalb er auch der Kunst Erkenntniskraft und originäre Beiträge zur Wahrheitssuche zutraute.

Zum Geld schrieb Aristoteles in der Nikomachischen Ethik: „Das Geld stellt also, indem es die Dinge wie ein Maß kommensurabel macht, Gleichheit her. Denn weder gäbe es Gemeinschaft, wenn es keinen Austausch gäbe, noch Austausch, wenn es keine Gleichheit gäbe, noch Gleichheit, wenn es keine Kommensurabilität gäbe.“

Er billigte dem Geld somit jene Tauschfunktion zu, die sich in seinem alltäglichen Gebrauch manifestiert. Wahrheit und Erkenntnis waren und sind von ihm hingegen nicht zu erwarten, auch wenn es sich seit der Antike von der Idee eines gemeinschaftsstiftenden Tauschhilfsmittels zu jenem Diktat aufschwang, das die Gesellschaft (auch manche Kunst) nun nach ökonomischem Takt tanzen lässt. Der Wirtschaftsethiker Karl-Heinz Brodbeck nennt das Geld daher eine Denkform, die, so wäre anzumerken, anderen Einsichten allzu oft im Wege steht.

Teile des Bezugsgewebes

Die menschliche Gesellschaft ist, mit einem Ausdruck von Hannah Arendt, ein Bezugsgewebe. Geld und Kunst sind Teile davon. Obwohl man sie sich wegen des flüchtigen Charakters ihrer Grundlagen, der Ideen, als filigrane Gespinste vorstellen möchte, behaupten sie sich darin. Sie sind fest und dauerhaft, weil und solange die Menschen gläubig an ihnen flechten. Fallen die Menschen vom Glauben ab, zeigt sich beider Fragilität.

Entzieht etwa der Kunstdiskurs einer Richtung die Gunst, dann kippt diese aus dem Olymp der Anerkennung und kann, wenn sich der Wind dreht, auch wieder dorthin zurückkehren. Das robuste Bezugsgewebe der Gesamtgesellschaft tangiert beides kaum.

Anders beim Geld, von dem sich die Gesellschaft so abhängig gemacht hat, dass sie der Zerfall der Denkform demolieren könnte, weil diese das Bezugsgewebe bestimmt. Die Verwerfungen seit 2008 deuteten die Größe dieses Risikos an und haben nebenbei eine seltsame Wechselwirkung zwischen Kunst und Geld erzeugt: Denn umgekehrt proportional zum schwächelnden Glauben an das Geld stieg die Bedeutung von Kunstwerken als „Reservewährung“.

Zur Person

David Gulda ist Wirtschaftsfachmann, ehemaliger Geschäftsführer der Tiroler Unternehmensgruppe Berger und Kunstfreund. Derzeit widmet er sich dem Studium der Philosophie. d.gulda@a1.net@uibk.ac.at

Das ist paradox. Ausgerechnet die verkörperten Ideen, die sich als Kunst präsentieren, wurden zu Anlagegütern zum Schutz vor dem Geldkollaps, was etwa auch Auktionen von Werken des bekennenden Geldliebhabers Andy Warhol zeigten. Wen wundert’s da, dass seine Arbeit aus 1981 die abstrakte Nähe zwischen Geld und Kunst besser veranschaulicht als jedes andere Kunstwerk und, ebenso analytisch wie prophetisch, zur Identität übersteigert. Ihr Titel: Dollar Sign.