Die Retter der vergessenen Maissorte
Eine Hand voll Ideologen stellen sich in den Dienst des bäuerlichen Erbes und geben der alten Maissorte „Pitztaler Tirgge“ eine neue Chance. Der Weg vom Kolben bis zum Mehl ist dabei reine Handarbeit.
Von Hubert Daum
Arzl i. P. –Auf den Herbstfeldern und -äckern herrscht zurzeit rege Betriebsamkeit. Meist fährt schwere Gerätschaft durch die Maisäcker, große Mengen in kurzer Zeit ist die begehrte Prämisse. Einigen Unentwegten im vorderen Pitztal ist allerdings Massenproduktion egal. Ihr Anliegen ist die Weiterführung des bäuerlichen Erbes in Form einer auf den Äckern ausgestorbenen Maissorte.
Der „Pitztaler Tirgge“ war für die hiesige Bevölkerung lange ein wichtiges Grundnahrungsmittel, bis er von hochleistungsfähigem Hybridsaatgut verdrängt wurde. Hannes Larcher, im Brotberuf Geschäftsführer des Mieminger Lagerhauses und Nebenerwerbsbauer in Arzl: „Vor fünf Jahren bekam ich rund 100 Maiskörner von der Tiroler Genbank zur Verfügung gestellt, diese habe ich zur Produktion weiteren Saatgutes angebaut.“ In der Nähe des Fußballplatzes, wie Larcher erläutert, da seien nämlich im Umkreis von 300 Meter keine Maisäcker, damit Fremdbestäubung ausgeschlossen ist. Andreas Tschöll, Gebietsbauernobmann und Mitarbeiter der Genbank Tirol: „Für uns ist es super, wenn unser Genmaterial nicht nur im Kühlschrank lagert, sondern von experimentierfreudigen Bauern auch angebaut wird. Jeder Interessierte kann von uns eine bestimmte Menge an Saatgut erhalten, was dabei herauskommen kann, sieht man beim Erfolgsprojekt Fisser Gerste.“
Heuer sei das erste Jahr, in dem Larcher eine Ernte in etwas größerem Stil einfahren kann. Vorgestern wurden die Kolben, angebaut auf 500 Quadratmetern, händisch gepflückt – wie früher „half man zusammen“. Auf dem Flierelerhof wartet der zweite manuelle Arbeitsschritt, das „Entflitschen“. Fast wie ein heiliges Ritual versammeln sich Anbauer und Helfer – unter ihnen auch BM Josef Knabl – um den alten Einachser und ziehen jedem Kolben einzeln die „Flitschen“ (Maisblätter) ab. Jede Kolbenspitze wird mit der Hacke etwas gestutzt, „damit nichts Faules dabei ist“. Es sei im Gegensatz zum „Lattetirgge“, der auf Latten endgetrocknet wird, ein „Ofentirgge“. Larcher: „Wir haben vier Backöfen in der Umgebung. Nach dem Brotbacken geben wir die Kolben über Nacht zum Trocknen in den Ofen, damit sie zudem den Brotgeschmack annehmen.“ Anschließend werden die Körner vom Kolben ebenfalls manuell „gefieselt“, also getrennt. Nun sind sie mahlbereit – mit der 63 Jahre alten Mühle, auf die Hannes Larcher besonders stolz ist. Das fertige Tirggenmehl ist nun am SB-Laden ab Hof erhältlich. Die Familie mache dies, um altes Kulturgut zu erhalten, rein wirtschaftlich gesehen sei es uninteressant. Der Kreislauf wurde am selben Abend noch perfekt: Die Gäste aus Kundl holten die Flitschen für Perchtenlaufkostüme ab.
Der Jerzner BM Karl Raich arbeitet ebenfalls am Projekt „Tirgge“, das auch Regio-Projekt war, als Saatgutanbauer mit: „Ich hoffe, dass sich künftig mehr Bauern am Projekt beteiligen. Saatgut ist genügend da, die Basisration ist sogar gratis.“