Ägyptens Außenminister Shoukry gegenüber Flüchtlingsdeal mit EU offen

Wien/Kairo (APA) - Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry steht einem Flüchtlingsdeal mit der EU prinzipiell offen gegenüber. „Wenn die rechtl...

Wien/Kairo (APA) - Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry steht einem Flüchtlingsdeal mit der EU prinzipiell offen gegenüber. „Wenn die rechtlichen und humanitären Parameter stimmen, sind wir bereit“, erklärte Shoukry im Zug eines Wien-Besuchs im APA-Interview. Ägypten habe in den vergangenen Jahren mehr Flüchtlinge aufgenommen als „ganz Europa“. Es müsse endlich anerkannt werden, welche Last sein Land bereits trage.

Eine Einrichtung von Flüchtlingscamps in Nordafrika sieht der bald 64-jährige Chefdiplomat, der von 1999 bis 2003 auch Botschafter in Wien war, eher skeptisch: „Wir denken nicht, dass solche Zentren die adäquate Lösung für dieses Problem darstellen“. Shoukry redete hingegen einer stärkeren Hilfe vor Ort und vermehrten Investitionen in Afrika das Wort. „Es muss viel mehr politische Unterstützung geben, um Konflikte in afrikanischen Ländern zu lösen. Um diese zu stabilisieren und Sicherheit zu schaffen.“

Am (heutigen) Freitag trifft Shoukry in Wien mit Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) zusammen. Dessen Ruf nach einem Burka-Verbot kommentierte der ägyptische Minister nur knapp: „Das sind interne Angelegenheiten, die die österreichische Gesellschaft selbst nach ihren Werten, Prinzipien und Normen entscheiden muss. Aber es gibt Werte wie individuelle Freiheit und den Respekt vor Religions- und Glaubensfreiheit sowie rechtliche Vorgaben, die wir alle respektieren müssen.“

Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen in Ägypten sind für Shoukry nicht gerechtfertigt: „Es ist inakzeptabel, wenn Behauptungen aufgestellt werden, ohne konkrete Beispiele zu nennen, denen nachgegangen werden kann. Wenn es konkrete Vorwürfe gibt, haben wir ein starkes Rechtssystem in Ägypten. Dann nennt mir die Namen, und wir werden das überprüfen.“

Im Folgenden das APA-Interview mit Außenminister Sameh Shoukry im Wortlaut:

APA: Ein Hauptthema in Europa ist derzeit die Flüchtlingskrise. Haben Sie einen Überblick, wie viele Flüchtlinge es derzeit in Ägypten gibt. Hat ihre Anzahl seit dem Deal zwischen der EU und der Türkei zugenommen?

Shoukry: Wir haben keinen direkten Einblick in diesen Deal, aber Ägypten ist schon seit vielen Jahren ein Ziel und Transitland für Flüchtlinge. Eben wegen der Krisen und Turbulenzen in Nahost, in Syrien, Libyen, dem Irak und im Jemen, aber auch wegen der Lebensbedingungen und Konflikte in Afrika. Ägypten hat da schon in den vergangenen 30 Jahren eine große Verantwortung übernommen. Das hat sich durch die jüngsten Konflikte verstärkt.

Wir haben 500.000 syrische Flüchtlinge. Weitere 500.000 irakische Flüchtlinge und schätzungsweise vier Millionen Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern. Das ist eine große Bürde für Ägypten. Wir haben keine Flüchtlingscamps, sondern versuchen, die Migranten in die Gesellschaft zu integrieren. Sie können sich frei bewegen, arbeiten und an den Sozialleistungen Anteil haben, die die ägyptische Regierung ihren Bürgern zur Verfügung stellt. Also Gesundheitswesen, Schulsystem aber auch Unterstützung bei Nahrung oder Treibstoffen.

Die internationale Gemeinschaft hat bisher noch nicht wirklich anerkannt, welche Last Ägypten da auf sich geladen hat. Auch die Rettung von Flüchtlingen betreffend. Wir anerkennen, welche Anstrengungen Europa diesbezüglich übernimmt, aber es wäre schön, wenn auch Europa anerkennt, welche Leistung Ägypten da erbringt. Vor allem in Anbetracht der limitierten Ressourcen, die Ägypten wegen seiner ökonomischen Probleme hat. Daher müssen wir unsere Nachbarländer um Mitarbeit bitten und auch danach trachten, den Zustrom zu limitieren. Wir sind bereit, mit unseren europäischen Partnern zu kooperieren.

APA: Es gibt aber auch Kritik am Umgang Ägyptens mit den Flüchtlingen. Etwa, dass selbst Kinder ohne Gerichtsverfahren eingesperrt werden. Dass Migranten kaum eine Chance haben, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und deshalb nach Europa fliehen wollen...

Shoukry: Das ist eine unnötige Kritik angesichts der Last, die wir schultern. Ich glaube, ganz Europa hat nicht so viele Flüchtlinge aufgenommen wie wir. Ganz abgesehen von den massiven Unterschieden zwischen den wirtschaftlichen Bedingungen in Europa und in Ägypten. Natürlich gibt es Flüchtlinge in Ägypten, die keine Arbeit haben, aber es gibt auch arbeitslose Ägypter. Das hat mit unserer wirtschaftlichen Lage und nichts mit der Person zu tun, die Arbeit sucht.

Aber es muss doch anerkannt werden, dass Ägypten die Flüchtlinge nicht in irgendwelche Camps sperrt, sie in keiner Weise restriktiv behandelt, sondern sie in die Gesellschaft integrieren will. Aber natürlich muss jeder Flüchtling, der das Recht bricht, mit den entsprechenden Konsequenzen rechnen. Das gilt aber für Ägypter auch. Ich denke, wir handeln in dieser Frage mit dem Verantwortungsbewusstsein menschlicher Wesen und wir müssen jene unterstützen, die in Not sind und Schutz suchen außerhalb ihrer Heimatländer.

Wir müssen schauen, wie wir diese Probleme in den Herkunftsländern lösen. Damit sich diese Menschen dort sicher fühlen und in ihren Ländern bleiben können, sowohl von einer politischen als auch einer wirtschaftlichen Perspektive aus gesehen. Die Menschen wollen ja nicht von Natur aus ihre Heimat verlassen. Sie wollen doch dort leben, wo sie hingehören, in einem Land, mit dem schon ihre Eltern und Großeltern verbunden waren. Sie verlassen ihre Heimat ja nur aus Angst um ihr Leben oder weil sie ihre Familien nicht mehr versorgen können. Dort könnten wir die Wurzeln der Migration viel umfassender und gründlicher bekämpfen.

APA: Wie soll das geschehen?

Shoukry: Es muss viel mehr politische Unterstützung geben, um Konflikte in afrikanischen Ländern zu lösen. Um diese zu stabilisieren und Sicherheit zu schaffen. Und wir brauchen auch mehr Investitionen, um die Wirtschaften dort in Schwung zu bringen, mehr Möglichkeiten, Beschäftigung zu schaffen, damit den Menschen ein ordentliches Leben möglich gemacht wird.

APA: Österreichs Bundeskanzler Christian Kern hat in diesem Zusammenhang einen Marshall-Plan für Afrika vorgeschlagen. Wäre das ein gangbares Konzept?

Shoukry: Solche Investitionen wären notwendig. Und sie könnten Ländern, die dort wirtschaftliche Mittel zur Verfügung stellen, letztlich auch einen Nutzen bringen. Weil nicht nur die Migrationsströme eingedämmt würden, sondern auch die entwickelten Länder durch Investitionen profitiert könnten. Weil in diesen Ländern etwa die Arbeitskraft billiger ist.

APA: EU-Politiker halten ein Flüchtlingsabkommen mit Ägypten nach dem Vorbild des Deals mit der Türkei für nötig. Was meinen Sie dazu? Welche Bedingungen würde es von Ihrer Seite geben?

Shoukry: Wir sind immer offen für Diskussion über Kooperation mit der EU in Fragen, die beide betreffen. Ägypten als Herkunfts- und Transitland und Europa als Zielort. Wenn die rechtlichen und humanitären Parameter stimmen, sind wir bereit für einen Deal mit der Europäischen Union.

APA: Es gibt in der EU und Österreich auch Politiker, die eine Einrichtung von Asylzentren in Nordafrika fordern. Aufgrund der dortigen instabilen politischen Verhältnisse erscheint das jedoch schwer realisierbar zu sein...

Shoukry: Auch das muss man immer unter dem Aspekt betrachten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen, und die Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten wird. Da gibt es eine große Diskussion, ob solche Camps den Rechtsvorschriften der Internationalen Gemeinschaft entsprechen. Ägypten hat da eine klare Position: Wir denken nicht, dass solche Zentren die adäquate Lösung für dieses Problem darstellen.

APA: Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat ein sogenanntes „Burka-Verbot“ gefordert, also ein Verhüllungsverbot für Frauen. Wie stehen Sie dazu? Ist das eine Maßnahme, um Integration zu fördern und Extremismus vorzubeugen?

Shoukry: Das sind interne Angelegenheiten, die die österreichische Gesellschaft selbst nach ihren Werten, Prinzipien und Normen entscheiden muss. Aber es gibt Werte wie individuelle Freiheit und den Respekt vor Religions- und Glaubensfreiheit sowie rechtliche Vorgaben, die wir alle respektieren müssen.

APA: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft den ägyptischen Sicherheitsbehörden vor, hunderte Regierungskritiker verschleppt und gefoltert zu haben. Der ägyptische Geheimdienst gehe unter dem Deckmantel des Anti-Terror-Kampfes rücksichtslos gegen Studenten, politische Aktivisten und Demonstranten vor, um sie zum Schweigen zu bringen. Es gab diesbezüglich auch Kritik an Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Wie kommentieren Sie das?

Shoukry: Das sind generalisierte Anschuldigungen, die typisch sind für manche Menschenrechtsorganisationen. Es ist inakzeptabel, wenn Behauptungen aufgestellt werden, ohne konkrete Beispiele zu nennen, denen nachgegangen werden kann. Wenn es konkrete Vorwürfe gibt, haben wir ein starkes Rechtssystem in Ägypten. Dann nennt mir die Namen, und wir werden das überprüfen.

Einmal wurden 300 Namen angeführt und es konnte in 280 Fällen nachgewiesen werden, dass diese Personen von der Justiz angeklagt und völlig rechtskonform abgeurteilt wurden wegen Kriminalität oder Delikten, die im Zusammenhang mit dem Terrorismus standen. Oder dass sie das Land verlassen haben, um sich irgendwo dem Islamischen Staat anzuschließen. Die übrigen 20 sind vielleicht als Flüchtlinge nach Europa gegangen. Es ist immer wichtig, mit Fakten zu argumentieren.

Wir haben den Demokratisierungsprozess vielleicht noch nicht vollendet, aber Ägypten steht in Menschenrechtsfragen schon ganz anders da als früher. Aber wir müssten das ganzheitlich betrachten und auch in Betracht ziehen, wie viel Ägypten in das soziale Wohl seiner Bevölkerung investiert, etwa durch die Unterstützung bei Nahrungsmitteln und Treibstoff.

APA: Im Syrien-Krieg ist zuletzt neuerlich ein Waffenstillstandsvertrag gescheitert. Ägypten hat jüngst Allianzen mit Russland geschmiedet. Wann und wie wird dieser Konflikt gelöst werden? Wie ist Ihre Haltung in dem Krieg?

Shoukry: Wir Ägypter können nicht mehr tolerieren, dass in Syrien so viele Menschenleben geopfert werden. Bis jetzt eine halbe Millionen Menschen. Wir sehen, dass eine Stadt nach der anderen zerstört wird, die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht ist. Genug ist genug. Es muss endlich einen ernsthaften Dialog in Syrien geben. Und wir müssen uns bewusst sein, dass Syrien nach fünf Jahren Krieg anders ausschauen wird als früher. Wir können nicht so tun, als wäre nichts passiert.

Es muss uns auch bewusst sein, dass dieser bewaffnete Konflikt islamistischen Terroristen die Möglichkeit gegeben hat, weite Landstriche an sich zu reißen, die syrische Bevölkerung zu terrorisieren und zu verändern. Diese Radikalisierung ist die größte Gefahr, diese Veränderung der Gesellschaft im Syrien, im Irak und auch in Ägypten.

Wir haben gesehen, wie die Muslimbrüder 95 Kirchen niedergebrannt haben, als 30 Millionen Ägypter auf die Straße gegangen sind, weil sie nicht wollten, dass die Natur des Landes radikal verändert wird. Kirchen, die nun von der ägyptischen Regierung wieder aufgebaut wurden, weil Ägypten die Heimat aller Ägypter ist. Egal, ob sie nun Muslime, Christen, Juden sind oder sonst einer Religionsgemeinschaft angehören.

APA: Wie sehen Sie die Beziehungen zum Iran. Geht der Atomdeal für Ägypten in Ordnung?

Shoukry: Wir denken, dass es wichtig war, dass es zu irgendeiner Form der Verständigung gekommen ist. Bedeutsamer ist aber, dass der Deal auch implementiert wird. Weil das sichert, dass der Iran kein Atomwaffenstaat wird und die Region nicht mit solchen Waffen versorgt. Wir sind immer dafür eingetreten, dass die Region frei bleibt von Nuklearwaffen. Weil das sehr gefährlich wäre, zumal die Waffen auch in Hände von Leuten kommen können, die jetzt nicht direkt von Staaten kontrolliert werden.

APA: Wie sehen Sie das Verhältnis Ägyptens zu Israel?

Shoukry: Wir haben ein normales Verhältnis, einen ständigen Dialog seit dem Friedensvertrag. Wir unterstützen den Friedensprozess mit der Zweistaatenlösung für Israel. Wir sind bereit, beiden Seiten dabei zu helfen, weil sich die ganze Region verändern wird, wenn die Tore zum Dialog geöffnet werden. Wir müssen den Terrorismus bekämpfen und ihm keine Basis für eine Rechtfertigung geben, wenn die Rechte der Palästinenser nicht gewährleistet sind. Ägypten und Israel haben gezeigt, dass ein Friede zwischen Israelis und Arabern möglich ist. Das sollte ein Beispiel für die ganze Region sein.

(Gespräch führte Edgar Schütz/APA)