Autorin Eva Schmidt: „Schreiben und Leben heute besser vereinbar“
Bregenz/Wien (APA) - Die Vorarlberger Autorin Eva Schmidt hat mit ihrem ersten Roman nach einer 20-jährigen Schaffenspause aufhorchen lassen...
Bregenz/Wien (APA) - Die Vorarlberger Autorin Eva Schmidt hat mit ihrem ersten Roman nach einer 20-jährigen Schaffenspause aufhorchen lassen. Mit „Ein langes Jahr“ schaffte sie es auf Anhieb auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Mit der APA sprach die Bregenzerin über die Gründe für ihre lange Absenz vom Literaturbetrieb, den unerwarteten Medienrummel und die Bedeutung von Hunden in ihrem Roman.
APA: Seit der Nominierung zum Deutschen Buchpreis reißen die Interviewanfragen nicht ab. Wie geht es Ihnen mit so viel Aufmerksamkeit?
Eva Schmidt: Ich habe grundsätzlich die Einstellung, dass der Autor hinter dem Werk zurückstehen soll. Mein Bedürfnis wäre es jedenfalls, denn das Rampenlicht liegt mir nicht. Ich brauche meine Ruhe, vor allem zum Schreiben. Eigentlich muss man ja dankbar sein, aber ich verstehe es gut, wenn jemand unter Pseudonym veröffentlicht. Es irritiert mich, dass das Buch, das ja seit Februar auf dem Markt ist, vorher wenig Aufmerksamkeit erregt hat. Seit die Longlist da ist, geht‘s rund. Chancen auf den Preis rechne ich mir eigentlich keine aus. Einer wird der Gewinner sein, aber die anderen sind nicht die Verlierer.
APA: Ihr letztes Buch „Zwischen der Zeit“ erschien 1997. „Ein langes Jahr“ ist Ihr erstes nach einer Schaffenspause von fast 20 Jahren. Warum haben Sie so lange nichts mehr geschrieben und wie kam Ihr aktuelles Buch zustande?
Schmidt: Ich habe gelegentlich Shortstorys verfasst, aber an etwas Längeres traute ich mich nicht heran, weil mich der Schreibprozess so fordert, dass ich für meine Umwelt unangenehm bin. Meine Art zu schreiben ließ sich mit Familie und gesellschaftlichem Leben nicht vereinbaren, zumal wir eine Patchworkfamilie mit vier Kindern waren. Ich war da aber keinesfalls in einer Opferrolle, so will ich das nicht verstanden wissen. Mein Agent hat mich immer wieder nach was Neuem gefragt. Als ich ihm das „Steckdosenhaus“ als Shortstory geschickt habe, meinte er: Gut, aber wie geht‘s weiter? So kamen nach und nach die anderen Geschichten dazu.
APA: Wie unterscheidet sich Ihr Schreiben heute von damals? Schreiben Sie jetzt anders?
Schmidt: Ich habe bei diesem Buch die Erfahrung gemacht, dass sich Leben und Schreiben inzwischen besser vereinbaren lassen als früher. Trotzdem habe ich zwei Jahre für das Buch gebraucht. Das Schreiben ist heute für mich weniger mit Angst verbunden als früher. Zweifel spielen aber noch immer eine große Rolle bei mir. Alles, was vor mir selbst nicht besteht, kommt weg. Da bin ich radikal.
APA: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Schmidt: Ich war eine rebellische Jugendliche mit schwierigem Elternhaus. Einmal sah ich im Theater Handkes „Publikumsbeschimpfung“, danach wusste ich, ich will schreiben. Nach der Handelsschule landete ich im Landestheater als Sekretärin, war dort Mädchen für alles. Nebenbei habe ich geschrieben - und jahrelang alles weggeworfen. Einmal hing dort eine Ausschreibung für das Staatsstipendium. Ich reichte ein und erhielt es.
APA: „Ein langes Jahr“ spielt offensichtlich in Bregenz und scheint auf Beobachtungen Ihrer Umgebung zu basieren.
Schmidt: Ja, vieles entstammt Beobachtungen, die sich dann in meinem Kopf fortsetzen. Herr Agostini basiert etwa auf einem alten Mann, der bei uns in der Gegend wohnt. Ich begegne ihm auf den Spaziergängen mit unserem Hund und er hat immer Leckerli in der Tasche. Ich kenne den Mann nicht näher. Den Rest hab ich dazuerfunden. Ich möchte erreichen, dass eine Figur einem nahe kommt, fast zur Person wird und eine gewisse Würde behält.
APA: Viele Ihrer Figuren leiden und verbergen das vor ihrer Umwelt. In den Geschichten stecken oft Grausamkeiten hinter dem Alltäglichen, Banalen. Entspricht das Ihrer Vorstellung von der Welt?
Schmidt: Ja, schon. Mich interessieren nicht die Erfolgreichen, sondern die Leute mit ihrem Kummer, ihren Sehnsüchten. Die Verlierer haben ja sonst keine Stimme. Ich habe es mir bei diesem Buch zum Prinzip gemacht, alle Erklärungen und psychologischen Deutungen zu vermeiden, weil ich beim Schreiben merkte: das geht nicht. Ich musste zu meinen Figuren auf Distanz gehen, um ihnen nahe kommen zu können.
APA: Hunde sind in Ihrem Buch Schnittstellen, an der die Einsamkeit der Figuren manchmal aufbricht. Welchen Stellenwert haben Hunde für Sie?
Schmidt: Unser Hund Hugo ist ein wichtiger Hausgenosse, der einfach dazugehört. Hunde haben etwas Verbindendes. Bei Spaziergängen trifft man Leute und kommt ins Gespräch. Dabei lässt sich auch vieles herausspüren. Mir kam auch vor, dass recht viele Hunde im Buch vorkommen, aber ich konnte keinen weglassen.
APA: Dem Buch ist ein Motto von Robert Walser vorangestellt: „Sehnsüchtig sein, heißt nicht zu wissen, wohin man möchte“. Welche Rolle spielt Walser für Sie?
Schmidt: Einige Autoren begleiten mich seit meiner Jugend und sind mir fürs Leben wichtig. Ich hätte Walser sehr gerne kennengelernt. Auch die Bücher von William Faulkner lese ich immer wieder, ebenso Carson McCullers, Raymond Carver und Uwe Johnson. Mir sind Bücher wichtig, die nachhallen, die Glücksgefühle beim Lesen auslösen.
APA: Im angloamerikanischen Raum wird Schreiben zumindest zum Teil als erlernbar verstanden. Sie gaben über Literatur Vorarlberg selbst Workshops für Jugendliche. Ist Literatur für Sie eher Handwerk oder Kunst?
Schmidt: Schreiben ist nicht ganz Handwerk und nicht ganz Kunst. Schriftsteller ist ein guter Begriff, mehr will ich nicht sein. Natürlich spielen Intuition und Kreativität eine wichtige Rolle, aber man darf das nicht überbewerten.
APA: Wie sieht Ihr Schreiballtag aus? Haben Sie fixe Zeiten zum Schreiben?
Schmidt: Nein, ich bin furchtbar undiszipliniert. Wenn ich am Schreibtisch sitze, fallen mir lauter Dinge ein, die ich noch erledigen muss. Mehr als zwei, drei Stunden kann ich ohnehin nicht arbeiten. Manchmal schreibe ich zwei Wochen nichts, aber die Geschichte arbeitet die ganze Zeit in meinem Kopf. Außerdem muss es völlig ruhig sein. Ich könnte nie in einem Café oder Park schreiben.
APA: Arbeiten Sie derzeit an etwas Neuem und wann darf man mit einem weiteren Buch rechnen?
Schmidt: Ich arbeite seit Anfang des Jahres an etwas Neuem, aber ich habe keine Ahnung, wann es fertig wird. Zwei Jahre wird es sicher noch dauern, vielleicht drei. Zum Inhalt will ich nichts sagen, aber ich merke, dass mich die Geschichte zumindest nicht mehr loslässt.
(Das Gespräch führte Angelika Grabher-Hollenstein/APA.)
(S E R V I C E - Der Deutsche Buchpreis wird am 17. Oktober in Frankfurt verliehen.)
(A V I S O - Die APA hat am 20.9. unter APA358 eine Rezension zu „Ein langes Jahr“ versendet. Sie ist im AOM abrufbar.)