steirischer herbst: „En Alerte“- Wenn die Gimbri zur Panzerfaust wird
Graz (APA) - An Assoziationen hat es nicht gemangelt, als der Franko-Marokkaner Taoufiq Izeeddiou am Donnerstagabend bei der „herbst“-Premie...
Graz (APA) - An Assoziationen hat es nicht gemangelt, als der Franko-Marokkaner Taoufiq Izeeddiou am Donnerstagabend bei der „herbst“-Premiere seine neue Produktion „En Alerte“ in den Grazer Dom im Berg schleuderte. Mit einer hochdynamischen Performance hielt der 41-jährige, zwischen Marokko und seiner Zweitheimat Paris pendelnde Tänzer, Choreograf und Festival-Gründer sein Publikum scheinbar mühelos in Atem.
„En Alerte“ ist eine für den Hauptakteur, der lediglich von zwei Musikern (M‘Aalem Stitou und Mathieu Gaborit, Trommel, Gimbri und E-Gitarre) unterstützt wird, eine körperliche wie mentale Tour de Force. Laut Programm gelangte Izeddiou über eine als Kind erlebte Derwischtanz-Vorführung zum Tanz. Das religiös-mystische Element ist auch Teil von „En Alerte“.
So beginnt die Performance mit einer Art Schamanentanz und endet mit einer eindringlichen, meta-ökumenischen Gebetszeremonie, bei der der auf die Rückwand der Bühne projizierte Name Gottes in den wichtigen Weltsprachen in Kaskadenform vom Himmel fällt. Doch das knapp einstündige, für den Hauptakteur körperlich und mental sichtlich anspruchsvolle Programm beschränkt sich keineswegs auf den spirituellen Aspekt.
Ohne plakativ zu werden thematisiert Izeddiou eine Reihe von aktuellen Themen auf eine poetische und teils auch brachiale Weise. Wenn er zum Beispiel in einem wohltemperierten weltmusikalischen Moment seinen beiden Mitstreitern nacheinander die Instrumente aus der Hand reißt und kurzerhand tönend in Panzerfäuste und Sirenen verwandelt, wandern wohl viele Gedanken im Publikum zu den TV-Bildern vom Krieg in Syrien oder anderen militärischen Auseinandersetzungen der Gegenwart.
Auch sonst arbeitet Izeddiou in „En Alerte“ mit den unterschiedlichsten Performance-Elementen. Einmal setzt er auf surrealistische Bilder - etwa wenn er auf der Netzhaut der Zuschauer durch extrem schnelle Bewegungen verstörende Doppelbilder erzeugt; ein anderes Mal wird mit Licht und Gestus eine apokalyptische Bruegel-Atmosphäre heraufbeschworen. Er setzt auf Interaktion, wenn er nach einer Atemakrobatik-Einlage um Umarmung fleht und diese aus der ersten Reihe des Publikums auch mehrfach bekommt.
Dann wieder gibt es wieder Momente vollkommener Stille und eine berührende Szene, in der der Protagonist mit einem Vollvisierhelm mit eingebautem Scheinwerfer vorsichtig über die dunkel gelegte schwarze Bühne tastet. Hier reichen die Assoziationen von den ihr Leben aufs Spiel setzenden Sprengstoff-Entschärfern in Kriegsgebieten, bis hin zu einem einsamen, in einer öden, fremden Welt gestrandeten Astronauten.
Izeddiou sagt in einem im Programmfolder abgedruckten Interview, dass er - obwohl mittlerweile französischer Staatsbürger - nach wie vor Marokko als sein choreografisches Zentrum betrachtet. Er begründet dies unter anderem damit, dass es in Frankreich angesichts der vielen Kürzungen im Kulturbereich und den damit verbundenen Einschränkungen mit der Kunst bergab gehe. In Marokko hingegen seien die Künstler hingegen immer noch motiviert, gegen Unterdrückungsstrukturen anzukämpfen - trotz dem oder gerade weil dort der kommerzielle Druck fehlt.
( S E R V I C E - Taoufiq Izeddiou/Anania Danses - „En Alerte“, noch eine Vorführung am Samstag, 15.10. im Grazer Dom im Berg, Eintritt: 19 Euro; http://www.steirischerherbst.at/ ; http://taoufiqizeddiou.com )