Ausstellung

Forschen für Germanien

© Wolfgang Lackner

Die Aktivitäten der Südtiroler „Kulturkommission“ waren ein nationalsozialistisch geleitetes Kapitel der Volkskulturforschung. Im Volkskunstmuseum wird es jetzt mit den Mitteln der zeitgenössischen Kunst beleuchtet.

Von Ivona Jelcic

Innsbruck –Als sich nach dem Hitler-Mussolini-Abkommen von 1939 mehr als 200.000 Südtiroler für die Option entschieden (tatsächlich übersiedelten bis 1943 rund 75.000 ins Deutsche Reich), startete ein bis heute in Umfang und Akribi­e kaum vergleichbares Dokumentationsprojek­t: Volkskultur und Brauchtum sollten nach dem Willen des NS-Regimes gesammelt und in die neuen Ansiedlungsgebiete der Optanten „hinübergerettet“ werden. Die zu diesem Zweck eingesetzte Südtiroler Kulturkommission war eine Zweigstelle der SS-Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe, ins Leben gerufen 1935 von SS-Reichsführer Heinrich Himmler.

Himmler war einer der fanatischsten Waffenträger des Germanenkults, an dem folglich auch das SS-Ahnenerbe und seine Unterorganisationen orientiert waren. Man muss bei diesen Informationen ansetzen – das Volkskunstmuseum tut es in seinen Ausstellungstexten leider nicht ausführlich genug –, um das Ausmaß der ideologischen Kontamination bzw. Instrumentalisierung von Volkskulturforschung während der NS-Zeit auch einem fachfremden Publikum deutlich zu machen.

Auch die Arbeit der Kulturkommission in Südtirol stand also unter der rassischen Prämisse des Ahnenerbes: Es ging um die angeblichen „germanischen Wurzeln“ im „volksdeutschen“ Kulturgut.

Bei der Dokumentation von Volkskultur zeigte sich einmal mehr die viel zitierte Gründlichkeit des NS-Apparats. Es gab sogar eigens zu Dokumentationszwecken inszenierte Brauchtums-Veranstaltungen, bei denen auch hochrangige italienische Faschisten anwesend waren. Man kann das als Kuriosum betrachten: eine letzte Aufführung vor der Auslöschung.

Der Umgang mit den Ergebnissen der Kulturkommission stellt auch die heutige Wissenschaft noch vor Probleme. Ein Beispiel ist die Arbeit des deutschen Musikwissenschafters Alfred Quellmalz: Ausgestattet mit zu der Zeit modernstem Tonaufnahmegerät trug er zwischen 1940 und 1942 eine Sammlung von Südtiroler Liedgut zusammen, die bis heute als einzigartig gilt. Sie kann aber nicht ohne die ideologischen Prämissen ihrer Entstehung betrachtet werden.

Quellmalz und anderen Protagonisten der Kulturkommission, vielmehr ihren kantig in Holz gehauenen Porträts, begegnet man jetzt in den gotischen Stuben des Volkskunstmuseums wieder. Der irische Künstler Gareth Kenned­y ließ diese Masken von Tiroler Holzschnitzern anfertigen, die sonst etwa Krippen oder Krampusmasken schnitzen. Was passiert, wenn eine volkskulturelle Tradition ihre Erforscher einholt, ihnen gleichsam mitten ins Gesicht springt? Einige der im Auftrag von Kennedy entstandenen Masken haben etwas unangenehm Dämonisches an sich. Aber geht es tatsächlich auch um eine Dämonisierung? Man ist mit allerlei unbequemen Fragen konfrontiert, „Die unbequeme Wissenschaft“ heißt denn auch die Ausstellung, um die es hier geht. Es gehe ihm keineswegs um eine (moralische) Wertung, sagt der Künstler. Kennedy interessiert sich für die „Erfindung von Traditionen“. Auf Einladung der ar/ge Kunst in Bozen hat er sich mit der Südtiroler Kulturkommission beschäftigt, die daraus entstandene Ausstellung ist jetzt in erweiterter Form im Volkskunstmuseum zu sehen, das mit diesem Projekt – entstanden in Kooperation mit dem Künstlerhaus Büchsenhausen – einen mutigen Schritt in Richtung zeitgenössische Kunst, vor allem aber auch in der Betrachtung seiner eigenen Rolle wagt.

Auf wissenschaftlicher Ebene passiert das bereits durch das Forschungsprojekt zur während der NS-Zeit eingerichteten „Mittelstelle Deutsche Tracht“ im Volkskunstmuseum (die TT berichtete). Deren Leiterin Gertrud Pesendorfe­r ist ebenfalls als Maske in der Schau vertreten, die zudem Fotografien, Filme und Schriften, die bei den Feldforschungen entstanden sind, zeigt. Pesendorfer wollte, das ist überliefert, „der Überwucherung des wurzelecht Deutschen durch fremdes Gewächs“ etwas entgegensetzen. Pesendorfer blieb auch nach dem Krieg die Tiroler Trachten-Doyenne, die Arbeitsmappen der Mittelstelle wurden weiterverwendet, etwa für im Museum durchgeführte Trachtenberatungen.

In Holz geschnitzt begegnet einem auch Ettore Tolomei, Hauptfigur der brutalen faschistischen Italianisierung Südtirols, das somit zum Zentrum zweier Pole ideologisch geleiteter Forschung wurde. Als deren Kritiker schließlich Boris Malinowski auftreten darf: Ende der 1930er-Jahre sprach der polnische Anthro­pologe in den USA über „Nazis­m as Modern Magic“. Über die Vorgänge in Südtirol hatte er sich während seiner Sommerfrische-Aufenthalte bei Bozen zur Zeit der Option allerdings nie geäußert.

Die Diskussion beim samstäglichen „Stuben-Forum“, einem Symposium zur Ausstellung, bewegte sich bisweilen gefährlich nahe an der Geschichtsklitterung. Was letztlich nur bestätigte, dass die Beschäftigung mit dem Thema nach wie vor nottut. Bis 29. Jänner.

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