Gallmetzer: „Alkohol war für mich lange ein Zaubermittel“
Jahrzehntelang führte Lorenz Gallmetzer als funktionierender Alkoholiker ein erfolgreiches Leben auf der Überholspur. Erst als sein Innenleben kaputtzugehen drohte, zog er die Notbremse und begab sich in Europas größte Suchtklinik. In seinem neuen Buch „Süchtig“ zieht er Bilanz über das Erlebte.
Lieber mit Vollgas gegen die Wand, als mit 70 oder 80 Jahren im Altersheim.“ Mit diesem Motto kam Lorenz Gallmetzer über dreißig Jahre lang gut durchs Leben. Von beruflichem Erfolg getragen, kannten ihn TV-Zuseher als kompetenten, seriösen ORF-Korrespondenten; Kollegen erlebten ihn als einen, der viel und gut arbeitete. Dass er als Alt-68er immer ein Querdenker war, einer, der das Rebellische, den wahren Nerv des Lebens suchte, hat er nie versteckt. Dass er über die Jahre schwer depressiv war und eine massive Alkoholkrankheit entwickelt hatte, wusste lange Zeit nur sein engster Kreis. Vor Kurzem ging der mittlerweile 64-Jährige damit an die Öffentlichkeit – mit einem Buch, das von seiner eigenen Abhängigkeit, aber auch die Geschichten von anderen Suchtkranken erzählt. Nicht weniger offen als im Buch spricht Gallmetzer im TT-Interview über seine Sucht und Gefahr, die er noch lange nicht überwunden hat.
Der Gallmetzer hat immer so seriös gewirkt. Diesen Satz hat ein Kollege gesagt, als ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe. War es für Sie schwierig, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?
Lorenz Gallmetzer: Nein, obwohl es in meinem engsten Umkreis Leute gegeben hat, die gesagt haben, tu es nicht, damit tust du dir nichts Gutes. Ursprünglich wollte ich über mich auch nur ein paar Seiten schreiben, als ich dann eine Woche lang nach meiner Zeit in der Suchtklinik Kalksburg mein Leben Revue passieren lassen hab’, sind daraus 190 Seiten geworden. Mir war es aber wichtig, dass das Buch nicht nur als persönliches Outing rüberkommt, ich wollte die vielen Geschichten erzählen, die ich in der Suchtklinik erlebt habe. Als Journalist dachte ich mir, man muss diese Schicksale den Leuten erzählen und erklären, dass das Hineinschlittern in eine Sucht keine Frage eines starken oder schwachen Willens ist, sondern eine Krankheit.
Sie sagen, Sie waren dreißig Jahre lang ein funktionierender Alkoholiker. Wie kann das so lange gut gehen?
Gallmetzer: Das ist ja die Falle: Man kann sehr lange als Alkoholiker funktionstüchtig bleiben und relativ komplikationsfrei leben. Man gewöhnt sich derart daran, dass mit Alkohol alles leichter zu gehen scheint. Nachdem ich weder ein Rauschtrinker noch Quartalsäufer war, sondern ein Spiegeltrinker – also einer, der zwar immer auf einer leichten Welle war, aber nie so, dass ich wirklich betrunken wirkte –, ging das lange gut. Gegen elf ein Gläschen Weißwein als Aperitif, zu Mittag Wein mit Mineral, Nachmittag kurz tanken in einer Bar, abends einen feinen Roten zum Abschalten bzw. besser Einschlafen. Ich konnte meinen Alk-Konsum lange gut kontrollieren und mit meinem Sozial- und Arbeitsleben in Einklang bringen. Für mich war er ein Zaubermittel, das guttat. Zum Auflockern. Gegen Stress. Zum Entspannen. Gegen schlechte Gefühle.
Rückblickend betrachtet: Hätten Sie Ihr hohes Lebenstempo im Job ohne Alkohol auch so gut halten können?
Gallmetzer: Das kann ich nicht sagen, ob es in dem Tempo auf einem so hohen Belastungsniveau auch ohne Alkohol gegangen wäre oder was anders gelaufen wäre. Ich habe letztendlich als Workaholic, wie ich es war, sicherlich auch vom Alkohol profitiert. Es ist ja nicht so, dass der nichts kann.
Wann kam dann die Wende? Sie bekamen eine Krebsdiagnose, Ihre zweite Beziehung ging in die Brüche, es gab einen Nervenzusammenbruch ...
Gallmetzer: Das war ein langsamer Prozess. Irgendwann war es so, dass sich der Alkoholmissbrauch auf meine Psyche, meinen Körper und damit auf mein Leben ausgewirkt hatte. Meine Beziehung litt darunter, auch wenn es ein Bruch ohne Streit war, aber was blieb, war eine bittere Trauer. Mein Immunsystem war kaputt. Über Jahre hatte ich mich immer wieder selbst mit Trinkpausen therapiert. Zeit meines Lebens litt ich an einer Grundmelancholie. Lange konnte ich mit Alkohol alles aufhellen, irgendwann passierte das Gegenteil: Das Trinken war kein Genuss mehr, der Alkohol verstärkte meine depressiven Zustände. Das war dann kein Spaß mehr.
Prof. Musalek, der Leiter des Anton-Proksch-Institutes, in dem Sie waren, sagt, dass hinter jeder Sucht ein psychisches Leiden steckt und eine Abstinenz per se nicht attraktiv ist. Diese gelinge auf Dauer nur, wenn die Sucht – vereinfacht gesagt – durch neue, bessere Freuden ersetzt werde. Gelingt Ihnen das heute?
Gallmetzer: Die Vorzüge des nüchternen Lebens haben sich mir ehrlich gesagt noch nicht ganz erschlossen. Ich hatte bis jetzt keine tollen, erhebenden Erlebnisse – wie es teils von anderen oft beschrieben wird. Ich tu mir auch mit der Vorstellung schwer, dass mein wildes, intensives Leben vorbei ist. Okay, ich fühle mich gesünder und ausgeglichener, aber gut geht’s mir deswegen nicht. Meine Grundstimmung bleibt dennoch melancholisch.
Was motiviert Sie zur Abstinenz?
Gallmetzer: Dass ich mein Leben ohne Suchtmittel Alkohol besser gestalten kann, das macht gesundheitlich und sozial gesehen schon viel Sinn.
Haben Sie Angst vor einem Rückfall in die Sucht?
Gallmetzer: Ich mach’ mir keine Illusionen, die Sucht überwunden zu haben. Ja, man kann als Alkoholiker alkoholfrei leben, aber die Sucht selbst überwindet man nicht. Ich gehe nach wir vor einmal wöchentlich zur Nachbetreuung. Die Garantie, dass es keinen Rückfall geben wird, gibt es nicht. Es gibt Leute, die waren zehn, zwölf Jahre trocken und wurden rückfällig. Wichtig ist jetzt einmal, dass ich stabil bleibe.
Das Gespräch führte Liane Pircher