„Rache kann nie Motiv für eine gerichtliche Strafsanktion sein!“
Oberstaatsanwaltschaft, Gewaltschutzzentrum und Neustart tagen zum Thema Strafe. Ein Thema, so komplex wie die Gesellschaft.
Innsbruck – Diesen Mittwoch diskutieren 100 Teilnehmer aus Justiz, Sozialarbeit, Polizei Rechtsanwaltschaft und Psychiatrie im Landesgericht zur Wirkung von Strafe. Eine sich stark verändernde Gesellschaft, neue Wertebilder und Migration benötigen einen immer differenzierteren Umgang mit Sanktionen. Brigitte Loderbauer, leitende Innsbrucker Oberstaatsanwältin, nimmt Stellung:
Gehen wir von einem Vermögensstraftäter mit Wohnsitz in Österreich aus. Wie sinnvoll ist es heutzutage noch, jemanden einzusperren?
Brigitte Loderbauer: Der Gesetzgeber fordert eine Reaktion auf ein normabweichendes Verhalten und legt auch den Strafrahmen fest. Die Spezialprävention – wie der Täter die Strafe spürt – ist dazu nicht das einzige Mittel. Mit der Generalprävention muss der rechtstreuen Gesellschaft aufgezeigt werden, dass sich Verbrechen nicht lohnt. Bei schweren Straftaten haben dazu nicht zuletzt Opfer und Hinterbliebene den Anspruch, zu sehen, dass der Verursacher angemessen bestraft wird.
Wird somit auch einem gewissen Rachebedürfnis des Opfers Geltung eingeräumt?
Loderbauer: Rache kann nie ein Motiv für eine gerichtliche Strafsanktion sein. Eine angemessene Reaktion des Staates auf ein Verbrechen soll dem Opfer jedoch Genugtuung bringen und dadurch auch wieder den Rechtsfrieden herstellen.
Ab wann muss es heutzutage also wirklich noch Haft sein?
Loderbauer: Das kommt auf den Einzelfall an. Besondere Brutalität, Aggression oder hohe Schäden können dafür ausschlaggebend sein. Weiters spielt natürlich der Rückfall eines bereits einschlägig vorbelasteten Täters eine Rolle.
Wenn es doch zu einer Haftstrafe kommt: Was halten Sie vom elektronisch überwachten Hausarrest und Plänen seitens der Generaldirektion für Strafvollzug, die Anwendung der Fußfessel von derzeit bis 12 Monaten auf 18 Monate Freiheitsstrafe zu erweitern? In Portugal, Frankreich und Belgien funktioniert Derartiges schon bis zu zwei und drei Jahren klaglos.
Loderbauer: Zur Fußfessel kann gesagt werden, dass sie bislang wirklich eine Erfolgsgeschichte darstellt. Verstöße während der Tragezeit sind äußerst selten. Dazu ist sie ein Mittel, um die Sozialstruktur (Arbeit, Wohnung, Familie) von Verurteilten nicht zu gefährden, wo es nicht notwendig ist.
Abseits von Haftstrafen wird auch immer öfter von der Diversionsmöglichkeit Gebrauch gemacht, um bei Ersttätern, die keinen allzu großen Schaden angerichtet haben, eine Vorstrafe zu vermeiden.
Loderbauer: Auch die Staatsanwaltschaften halten die Diversion für ein probates Mittel. Die Beschuldigten müssen sich durch eine Verantwortungsübernahme mit ihren Taten erstens konkret auseinandersetzen und akzeptieren dazu auch eine Buße in Form von Geldleistung oder beispielsweise Sozialdienst.
Auch ein Modell, um Jugendliche aus Zellen fernzuhalten?
Loderbauer: Leider ist bei Jugendlichen, die inhaftiert werden sollen, vorab schon sehr viel Gravierendes passiert. Haft ist für Jugendliche wirklich das allerletzte Mittel. Vorab werden über die Sozialnetzkonferenz alle anderen Möglichkeiten überprüft und ausgenützt. Gut finde ich in diesem Zusammenhang jedoch immer Bewährungshilfe.
Das Interview führte Reinhard Fellner