Türkei: Auf der Zielgeraden zum Präsidialsystem

Istanbul (APA) - Er sieht sich als Stimme der Massen: Die Rufe aus dem Volk nach der Todesstrafe seien „eine berechtigte Forderung“, sagte S...

Istanbul (APA) - Er sieht sich als Stimme der Massen: Die Rufe aus dem Volk nach der Todesstrafe seien „eine berechtigte Forderung“, sagte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag vor Tausenden Anhängern im zentralanatolischen Konya. „Was der Westen dazu sagt, interessiert mich nicht. Mich interessiert mein Volk“, sagte der türkische Staatspräsident. En entsprechendes Gesetz werde er ratifizieren.

Seit dem vereitelten Putschversuch vom 15. Juli baut Erdogan das politische System des Staates um. Mit der Verhängung und Verlängerung des Ausnahmezustandes kann er die Geschicke des Landes per Dekret lenken. Kein Wunder also, dass Ankara nun einen neuen Anlauf zur Umwandlung des Landes in eine Präsidialrepublik unternimmt, und deswegen um die Stimmen der Ultranationalisten buhlt - etwa mit der Forderung nach der Todesstrafe.

Die „faktisch vorhandene Situation“ benötige eine juristische Grundlage, erklärte Ministerpräsident Binali Yildirim am Mittwoch vor Mitgliedern der Regierungspartei AKP. „Wir werden sofort Schritte in diese Richtung unternehmen und entweder das Parlament oder das Volk entscheiden lassen“, sagte Yildirim.

Doch bisher hatte die AKP nicht die notwendige Mehrheit, um eine Verfassungsänderung durchzusetzen. Am vergangenen Dienstag nun aber stimmte die oppositionelle ultranationalistische MHP einem Umbau zu. Justizminister Bekir Bozdag sagte am Freitag, wenn das Parlament eine schnelle Entscheidung treffe, könne das Referendum darüber rasch abgehalten werden, möglicherweise noch vor dem Frühjahr.

Schon als Ministerpräsident schwärmte Staatspräsident Erdogan von einem Präsidialsystem mit weitreichenden Vollmachten. Auf eine repräsentativ ausgerichtete Präsidentenrolle will er sich nicht beschränken. Erdogan hat auch schon die Bemerkung fallen lassen, die Verfassung interessiere ihn im Zweifel wenig. Ein Präsidialsystem würde das Land stärken, argumentiert er, denn es würde die Macht in die Hände einer Person legen - also in seine Hände. Erdogans Kritiker befürchten aber, dass er dann ein noch autoritäreres System etabliert.

Denn Erdogan würde damit weitreichende exekutive Vollmachten erhalten. Die Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments würden damit deutlich eingeschränkt. Der Ministerpräsident würde dann zu Erdogans Befehlsempfänger degradiert werden, der nur noch den Willen des Staatschefs umsetzen kann. Denn nach Erdogans Vorstellungen soll künftig er allein über das Kabinett bestimmen.

Das bisher für die Auswahl der Regierungsmitglieder nötige Vertrauensvotum des Parlaments soll entfallen. Diese Pläne laufen auf eine Abschaffung des derzeitigen parlamentarischen Systems der Türkei hinaus. „Wenn wir uns die Meinungsumfragen ansehen, so verlangt mein Volk das Präsidialsystem“, rief Erdogan am Freitag in Konya.