Osttirol

„Wie wird alles sein, wenn Frühling ist?“

Der Bahnhof in Lienz nach einem schweren Bombenangriff im Februar 1945.
© TAP

Das Wintertagebuch der Ila Egger-Lienz schärft den Blick auf einen unangepassten Freigeist. In den letzten Kriegsmonaten 1944 / 45 brachte die Tochter des Osttiroler Künstlers Kritik, Verzweiflung und Sehnsucht zu Papier.

Von Claudia Funder

Lienz –Ein überaus strenger Winter in Lienz. Letzte Kriegsmonate 1944/45. Die jüngste Tochter des Osttiroler Künstlers Albin Egger-Lienz, Ila, hatte in dieser dunklen Phase der Geschichte Zuflucht in der Heimatstadt ihres 1926 verstorbenen Vaters gesucht. In Lienz beginnt sie am 4. November 1944 Tagebuch zu schreiben. Es ist der 18. Todestag des bekannten Malers.

Ila wollte ihre Aufzeichnungen, die am 7. April 1945 enden, noch zu Lebzeiten publizieren. Das Vorhaben wurde aber bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 – sie verstarb 92-jährig in Innsbruck – nicht realisiert.

Ila Egger-Lienz als 32-Jährige, 1944.
© Turmmuseum Oetz

Längst ist ihr Nachlass in das Eigentum des Landes Tirol übergegangen, liegt im Depot für das Turmmuseum Oetz­. Und das spannende Relikt aus Kriegstagen erscheint nun doch noch in Buchform – herausgegeben und sehr einfühlsam kommentiert von Roland Sila, Kustos der Bibliothek des Ferdinandeums. Wilfried Beimrohr, ehemaliger Leiter des Tiroler Landesarchivs und Osttiroler, bereicherte das Werk „Kriegsende in Lienz. Das Wintertagebuch der Ila Egger-Lienz 1944–1945“ mit einer 21 Seiten umfassenden historischen Einleitung. Das Buch wird am 14. Dezember um 19 Uhr in der Stadtbücherei Lienz präsentiert.

Ila Egger-Lienz (1912–2003), jüngstes von drei Kindern des Künstlers, war eine zierliche wie starke Person. „Sie hat ihren Vater verehrt und nicht unter der Last des berühmten Namens gelitten“, erklärt Sila im Gespräch mit der TT. „Als Lieblingstochter des Malers konnte sie sich manches herausnehmen, was ihren Geschwistern verwehrt blieb.“

Ila entwickelte sich zu einer unangepassten, kritischen Frau, lebte in München und Wien, studierte Englisch, lernte Ausdruckstanz. Lebenserfahrung übte auf sie scheinbar einen besonderen Reiz aus. Die emanzipierte Ila umgab sich gern mit Freunden ihres Vaters, jedenfalls gehörig älteren Männern, die sie intellektuell forderten. Ihre große Liebe fand sie jedoch in einer Frau – in der deutlich älteren Dolmetscherin Gisela Loewenthal, mit der sie 37 Jahre zusammenlebte.

Um das Werk ihres Vaters wach zu halten, schrieb Ila eine vielbeachtete Biografie über den Künstler, die 1939 publiziert wurde. „Die Anerkennung tat ihr gut und motivierte sie, weiter ihren Weg zu gehen“, betont Sila. Etliche Publikationen und Romane der Autorin folgten. Sie war literarisch also bereits geübt, als sie 1944 ihr Wintertagebuch zu schreiben begann.

Es war eine kurze Zeitspanne Ende des 2. Weltkrieges, in der Ila in Lienz ihre Eindrücke zu Papier brachte – als Art Briefroman an ihren väterlichen Freund Alfred Bauer-Ynnhof. Bereits beim Lesen der ersten Tagebuchseiten wird offensichtlich, wie fremd sie sich im ungeliebten „Exil“ fühlte. Lienz war ihr, die einen unabhängigen Lebensstil bevorzugte, viel zu provinziell. Allein der Krieg zwang sie zum Bleiben. Es war aber wohl auch dessen Enge, die vieles nicht zuließ, bremste. Ein Alltag, immer wieder geprägt von Kälte, Hunger, Fliegeralarm und Tod. Ein Warten auf das Ende des Krieges. „Es ist eine Verzweiflung, die Ila Egger-Lienz aber nicht zulässt, weil sie intellektuell damit umgeht“, stellt Sila klar. „Ihre hohen Ansprüche münden letztlich in einer Isolation, die täglichen Kontakte sind auf einige wenige Menschen beschränkt.“ Der Alltag – reduziert auf Überleben – war ein für Ila kaum ertragbarer Zustand. Ihr Refugium wurde die Beschäftigung mit Qualitätsliteratur, wie sie wiederholt im Tagebuch berichtet. Dieses verschickte sie in Teilen, obwohl sie sich darin regimekritisch äußerte und mit Zensur zu rechnen war. Verwarnt wurde Ila jedenfalls damals von der Parteileitung wegen eines anderen Akts: Sie hatte ein Hitlerbild mit einer Blumenkarte verdeckt.

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Ihr Tagebuch sei weit mehr als eine persönliche Erinnerung, erklärt Sila. Es gebe in unmittelbarer Form Einblick in das Kriegende in Lienz.

Ila blieb übrigens auch nach Kriegsende noch in Lienz, zog erst 1954 nach Wien. Sie hatte zeitlebens Kontakt zum einst ungeliebten „Exil“. Viele werden sich erinnern: 1996 nahm sie anlässlich des 70. Todestages ihres Vaters die Enthüllung der Egger-Lienz-Büste auf dem gleichnamigen Platz vor.

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