“Der Spatz von Paris“

Vier Engel für drei Pariser Spatzen

© Rudy de Moor / TT

Die Choreografin und Tänzerin Marie Stockhausen über ihr Stück „Der Spatz von Paris“, das heute in den Kammerspielen zur Uraufführung kommt.

Von Silvana Resch

Innsbruck –Am Anfang stand „ein Ja und ein Nein“, sagt Marie Stockhausen am Rande der Proben zu ihrer neuen Choreografie „Der Spatz von Paris“: „Das ist enorm anspruchsvolle Musik, da musst du mit einer Choreographie erst einmal rankommen. Doch da war auch Gänsehaut.“ Weil die gebürtige Berlinerin trotz aller Zweifel nie Nein sagen würde, und sie ihre Ängste mittlerweile auch als Motor begreift, war die Entscheidung schnell getroffen. „Mit dem Herz“, betont die 42-Jährige, die für das Stück nur 20 Probetage zur Verfügung hatte. Eine sehr intensive, konzentrierte Zeit, „da geht die Musik noch mal anders rein“.

Piafs Chansons sind von solch einer emotionalen Wucht, dass die sensible Tänzerin „anfangs ein bisschen Schwierigkeiten“ hatte: „Da musst du ein bisschen leiser stellen, das hältst du nicht immer aus. Je öfter du die Songs hörst, umso intensiver werden sie, jedes Mal entdeckst du neue Nuancen.“ Es werde erzählt, dass bei Piafs gefeierten Auftritten schon mal Leute im Publikum umgefallen seien, berichtet Stockhausen. So geschehen angeblich beim Stück „Les Blouses Blanches“, das die Pariserin danach nie mehr wieder auf der Bühne gesungen hat.

In Stockhausens Inszenierung ist auch dieser Chanson zu hören, die Song-Auswahl habe sie mit dem Bauch getroffen. Einfach nur das Leben nachzuerzählen, wie die Choreografin das in ihrem ersten abendfüllenden Stück „Charlie Chaplin“ getan habe, wollte sie nicht. „Ich erzähle nur das, was mich wirklich berührt“: Das sei „Edith Piafs Schrei nach Liebe gewesen“, ihre Liebe zu Boxweltmeister Marcel Cerdan, der 33-jährig bei einem Flugzeugunglück starb, und ihre besondere Fähigkeit zu glauben. Als Kind war die Sängerin beinahe erblindet, nach einer Wallfahrt zur heiligen Therese konnte sie wieder sehen. „Weil ich selber meditiere, fühle ich mich in dieser Geschichte sehr wohl“, so Stockhausen, die der 47-jährig verstorbenen Künstlerin in ihrem Stück Engel an die Seite stellt. „Mit dem, was sie alles erlebt hat, muss sie einfach Engel gehabt haben.“

Als Kind von ihrer Mutter, einer alkoholkranken Straßensängerin, völlig vernachlässigt, wurde sie von ihrem Vater zur Großmutter ins Bordell gebracht. Mit sechs Jahren riss sie der Vater, ein Akrobat, wieder aus dem relativ behüteten Umfeld und nahm sie mit auf Tour. Erst 15-jährig schlug sich Piaf alleine als Sängerin auf der Straße durch, bis sie entdeckt wurde. Sie sollte schließlich Millionen Menschen weltweit berühren. „Musik und Person sind bei ihr eins“, sagt Stockhausen, die Piaf vor allem dafür liebe, dass sie „impulsiv und immer ehrlich“ gewesen sei. „Ich bin zehnmal trauriger und glücklicher als andere Menschen“, hat die Sängerin selbst gesagt. Mit den Tänzerinnen Brigida Pereira Neves, Alessia Peschiulli und Lara Brandi bringt Stockhausen nun gleich drei „Ediths“ auf die Bühne. „Sie hatte so viele Gesichter, so viele Geschichten. Es lässt sich viel schöner erzählen, wenn man in ihrem Leben zwischen den verschiedenen Zeitebenen herumspringen kann.“

In der Saison 2006/2007 wurde die Berlinerin Solistin der Tanzcompany am Tiroler Landestheater, sie steht nach wie vor auf der Bühne, zuletzt in Enrique Gasa Valgas „Mayerling“. „Ich liebe es zu tanzen, ich frage mich immer, wann hört es denn endlich auf?“, lacht sie. Ob sie denn still dasitzen könne, wenn sie ihre Tänzer auf der Bühne sehe? „Die machen das so gut, dass du Angst kriegst: Oh bitte, werde nicht krank, ich will nicht einspringen müssen.“

Als Choreografin ist Stockhausen seit 2012 tätig, nach Produktionen in Bozen und Kufstein arbeitete sie zuletzt auch an Brigitte Fassbaenders Inszenierung von Benjamin Brittens „Paul Bunyan“ an der Oper Frankfurt mit. Dass „Charlie Chaplin“ heuer mit dem österreichischen Musiktheaterpreis als „beste Ballettproduktion“ ausgezeichnet wurde, habe sie „überrascht, sehr gefreut und auch sehr gestärkt“. Doch Stockhausen will sich den Erfolg nicht zu Kopf steigen lassen: „Der Preis schenkt dir kein neues Stück.“ Das neue Stück aber womöglich einen neuen Preis: „Edith Piaf. Der Spatz von Paris“, das heute in den ausverkauften Innsbrucker Kammerspielen zur Uraufführung kommt.