Genuss

Junges Gemüse zur kalten Zeit

Selbst bei Frost und Schnee erntet Wolfgang Palme Gemüse.
© Johannes Hloch

Im Winter muss der Gemüsegarten ruhen. Stimmt nicht, sagt Wolfgang Palme. Er erntet frisches Grün in der kältesten Jahreszeit und erlebt so jährlich einen „zweiten Frühling“.

Von Andrea Wieser

Innsbruck –„Eigentlich sind wir schon sehr pionierartig unterwegs“, meint Wolfgang Palme mit Begeisterung. Der Gemüseexperte von der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn kann seine Freude kaum verhehlen. Für den Querdenker ist nämlich gerade jetzt, zur kalten Jahreszeit, Erntezeit. Palme hat das Wintergärtnern zu seinem Forschungsziel gemacht und will es unter die Leute bringen. Dazu hat er ein dickes Nachschlagewerk herausgebracht, in dem er 77 verschiedene Gemüsearten beschreibt, die im Winter geerntet werden können. Geschrieben ist es für den Laien, der jetzt zarte Asia-Salate und Radieschen frisch aus dem Boden ziehen kann – vorausgesetzt, es wurde zur rechten Zeit gesät und gepflanzt. Denn „der Winter ist zwar Erntezeit, aber keine Wachstumszeit“, weiß Wolfgang Palme.

Entstanden ist Palmes Projekt eigentlich durch Zufall. Vor rund zehn Jahren ließ Palme am Zinsenhof im Melktal, einer Außenstelle des Forschungszentrums Schönbrunn, im Herbst eher unabsichtlich einen Satz Salate stehen. „Und anstatt plangemäß zu erfrieren, konnte man den Salat im Winter noch ernten. Er erwies sich als frostfester, als das laut Lehrbuch hätte sein dürfen.“ Das brachte den Forscher zum einen dazu, altes Gärtnerwissen neu zu studieren, und erinnerte ihn daran, dass früher der Boden teils über den Winter bestellt war. Zum anderen stellte er fest, „dass wir das biologische Eigenpotenzial der Pflanzen noch nicht optimal nützen“.

Mit seinen ersten Studien stellte er nämlich schnell fest: „Unser Gemüse ist frostfester als wir es ihm zutrauen.“ Chinakohl und Mangold könnten nämlich bis zu minus zwölf Grad, Vogerlsalat und Kohlgemüse sogar noch tiefere Temperaturen vertragen, das sei weit mehr als bisher angenommen wurde.

© Johannes Hloch

Dabei geht es Palme vor allem um einen energie- und ressourcenschonenden Ansatz: „Wir wollen im Winter etwas ernten können, ohne ein Gewächshaus zu heizen. Dafür muss das Gemüse nicht durch ganz Europa zu uns transportiert werden.“ Aber ganz ohne Schutz geht es natürlich nicht. Vor unkontrolliertem Niederschlag schützt zum Beispiel ein Hobbygewächstunnel oder ein Folientunnel. Dabei geht es weniger um den Schutz vor Kälte als um den vor Feuchtigkeit. „Im Winter verfault Gemüse eher, anstatt zu erfrieren. Einige Pilzkrankheiten sind sehr kältefest, darum sind eine gute Belüftung und sparsame Bewässerung entscheidend.“

Platz und Erde braucht man für das Wintergemüse-Projekt aber nicht so sehr, wie man meinen möchte: „Der kleinste Garten ist ein Topf“, meint Palme. Es brauche keine riesigen Gewächshäuser und Ernteflächen, um das Gartenjahr in die Verlängerung zu schicken. Damit sei auch der Balkon oder sogar ein Blumenkistchen ein möglicher Ort, um zumindest winterfeste Kräuter anzubauen.

Das Spektrum der Pflanzen, die im Winter generell geerntet werden können, ist beeindruckend. Es geht von Kohl, Zichorien und Endivien über Wurzel- und Knollengemüse wie Karotten, Topinambur, Rote Rüben und Rettichen bis zu Salaten, von Rucola bis Lollo rosso und Eichblattsorten, Kräutern wie Petersilie, Schnittlauch und Kresse.

Abgeschlossen ist Palmes Forschungsarbeit noch lange nicht. Derzeit kooperiert er mit sechs österreichischen Bio-Betrieben, um noch mehr über die Möglichkeiten mit Wintergemüse zu erfahren: „Gerade das Kleinklima im Glashaus ist entscheidend, darüber wissen wir noch relativ wenig.“

Tipp:

Das Nachschlagewerk „Frisches Gemüse im Winter ernten. Die besten Sorten und einfachsten Methoden für Garten und Balkon" (384 Seiten, fest gebunden) ist im Löwenzahn Verlag erschienen.

Ganz ins Schwärmen kommt der Gemüseexperte, wenn er an die möglichen, strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft denkt: „Ich habe wirklich die Vision einer kleinstrukturierten Landwirtschaft.“ Er träume von einer Gegenbewegung zur Agrarwirtschaft, denn „die Kleinbetriebe haben keine Lobby. Wir wollen die unterstützen.“

Kulinarisch ist sich Palme sowieso sicher, dass das regionale Wintergemüse die sehr viel bessere Wahl ist: „Der jetzige Salat ist einfach köstlich, die Radieschen sind butter­zart. Da lasse ich jedes Importgemüse liegen.“

Sogar Salat ist robuster als gedacht und übersteht Nächte mit bis zu minus elf Grad.
© Wolfgang Palme