John Berger: Ein Maler mit Worten
Zum Tode des britischen Kunstkritikers und Romanciers John Berger.
Innsbruck, Paris –In den vergangenen Jahren erlebte John Berger eine erstaunliche Renaissance. Ältere Werke, seine beeindruckende Bergbauern-Trilogie „Von ihrer Hände Arbeit“ (1979–1991) zum Beispiel, wurden neu aufgelegt, neue Texte des 1926 nahe London geborenen Essayisten und Romanciers wurden – nicht nur in der englischsprachigen Welt – als literarische Ereignisse gefeiert.
Und Kreative aller Genres pilgerten nach Quincy, jenes Städtchen in den Savoyer Alpen, in dem Berger seit Jahren lebte. Davon erzählt der wunderbar unaufgeregte und doch eigenwillig schrullige Dokumentarfilm „The Seasons in Quincy“, der kürzlich bei der Viennale gezeigt wurde. Colin MacCabe, Christopher Roth, Bartek Dziadosz und Tilda Swinton wählten darin vier ganz verschiedene Wege, um den „Maler mit Worten“ zu porträtieren.
Bergers Umzug ins Gebirge ging 1972 ein Skandal voraus: Überraschend wurde seinem experimentellen Entwicklungsroman „G“ der Booker Prize zugesprochen. Und der Ausgezeichnete nützte seine Dankesrede für den Hinweis, dass der Preisstifter – ein Lebensmittelgroßhändler – einst britische Kolonien ausbeutete. Als symbolische Wiedergutmachung spendete Berger einen Teil des Preisgeldes der Black-Panther-Bewegung.
Prominent war Berger, dessen Romandebüt „Die Spiele“ (1958) wenige Wochen nach Erscheinen als „kommunistische Propaganda“ vom Markt genommen wurde, bereits vor seinem literarischen Durchbruch. Für die BBC bürstete der ausgebildete Maler mit der an den Überlegungen Walter Benjamins orientierten Sendung „Ways of Seeing“ die etablierte Kunstexegese gegen den Strich. Das daraus hervorgegangene Buch „Sehen: Das Bild der Welt in der Bilderwelt“ gilt – genauso wie Bergers spätere Veröffentlichungen zum Thema – bis heute als Standardwerk. Mit dem Schweizer Filmemacher Alain Tanner verfasste Berger mehrere Drehbücher. Ihr Film „Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird“ (1975) zählt zu den wegweisenden Werken des europäischen Autorenkinos.
Am 2. Jänner ist John Berger wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag in Paris gestorben. (jole)