Schuld und Sühne im Infotainment-Channel
Wie aktuell der Fall O. J. Simpson 20 Jahre später noch ist, zeigt die erste Staffel der Mini-Serie „American Crime Story“ auf Sky.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Vor mehr als 20 Jahren schrieb eine seltsame Verfolgungsjagd Fernsehgeschichte: Am 17. Juni 1994 fährt O. J. Simpson, des Doppelmordes an seiner Ex-Ehefrau Nicole Brown und ihres Bekannten Ronald Goldman verdächtig, in einem weißen Ford Bronco beeindruckend langsam den Highway entlang. Dicht hinter ihm, schön Formation haltend, acht Polizeiwagen. Aus der Vogelperspektive scheint es, als wollten sie ein geordnetes Bild abgeben. 95 Millionen US-Seher sind bei dieser ersten Verfolgungsjagd, die live im Fernsehen übertragen wird, mit dabei. Als der Footballstar und Schauspieler mehr als ein Jahr später im so genannten „Prozess des Jahrhunderts“ freigesprochen wird, haben sich 150 Millionen Menschen vor den TV-Geräten versammelt. Der Richter hatte Kameras im Gerichtssaal zugelassen.
Damals habe der „industrielle Komplex Reality-TV-Infotainment“ seinen Anfang genommen, erklärten Scott Alexander und Larry Karaszewski, die beiden Autoren der zehnteiligen Mini-TV-Serie „American Crime Story: The People v. O. J. Simpson“, im Gespräch mit der New York Times. Das Duo, das die Drehbücher zu hintersinnigen Filmen wie Tim Burtons „Ed Wood“ oder Miloš Formans „Der Mondmann” schrieb, hatte den Auftrag ohne zu zögern angenommen. Zu viele Prominente sind in diesen Fall involviert – beziehungsweise sind als Celebrities daraus hervorgegangen: So etwa Simpsons Untermieter, der erfolglose Schauspieler Brian „Kato“ Kaelin. Mit seiner eigenen Reality-Show sollte Kaelin nach dem Prozess zu Amerikas wohl berühmtestem „Hausgast“ werden. Eine der zentralen Figuren der Mini-Serie ist indes Robert Kardashian (David Schwimmer), Anwalt und enger Freund O. J. Simpsons (Cuba Gooding Jr.). Der Vater von Reality-Star Kim Kardashian fungiert gewissermaßen als moralisches Gewissen dieser Tragödie, die – abgesehen von den beiden brutal erstochenen Opfern – einer Schmierenkomödie gleicht. Im Verteidigerteam ist Kardashian wichtiger Gegenpol zum zynischen Star-Anwalt Robert Shapiro (John Travolta). Die Niederungen des Reality-TV, das damals zum Siegeszug ansetzte, sind aber nur ein Aspekt in dieser von der Kritik hochgelobten True Crime Story, die mit gleich fünf Emmys (beste Mini-Serie, vier Preise für Haupt- und Nebendarsteller) ausgezeichnet wurde.
Die von „American Horror Story“-Schöpfer Ryan Murphy inszenierte erste Staffel der Anthologieserie „American Crime Story“ ist nach den jüngsten Fällen rassistisch motivierter Polizeigewalt in den USA aktueller denn je. Eröffnet wird „The People v. O. J. Simpson“ mit Archivbildern von Übergriffen, die Officer des Los Angeles Police Department in den 1990er-Jahren verübt haben. Als jene vier Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King bei einer Verkehrskontrolle brutal verprügelten, freigesprochen wurden, kam es 1992 in Los Angeles zu blutigen Unruhen. Mit dem Freispruch von O. J. Simpson – trotz erdrückender Beweislast – wollte sich ein schwarzes Mitglied der Jury rächen: Er habe Simpson als „Vergeltung für Rodney King“ für nicht schuldig befunden, erklärte der Mann. Wie dieser Mordfall zu einem Prozess über Rassenungleichheit werden konnte, wird in der Mini-Serie klug aufbereitet. Dem Anliegen der Afroamerikaner hat das Urteil freilich einen Bärendienst erwiesen. Simpson, der sich nie für die schwarze Community engagierte, konnte sich im Gegensatz zum Großteil der benachteiligten afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe die besten Anwälte leisten. In seinem Zivilverfahren wurde der Sportstar aber doch zu einer Zahlung von 33,5 Millionen US-Dollar Schadenersatz verurteilt. Seit 2008 sitzt er wegen bewaffneten Überfalls im Gefängnis.
Donald Trump hätte O.J. Simpson 2003 übrigens gerne für seine Reality-TV-Show „The Celebrity Apprentice” engagiert, der Sender NBC schreckte aber zurück. Die erste Staffel der „American Crime Story“ ist seit Freitag beim Bezahlsender Sky zu sehen beziehungsweise zu streamen.