Brüchige Gesellschaft: „Europäisches Abendmahl“ im Akademietheater
Wien (APA/apa) - Was passiert, wenn sich Frauen an einer Tafel versammeln? Diese Frage, in Anlehnung an Platos „Gastmahl“ und das christlich...
Wien (APA/apa) - Was passiert, wenn sich Frauen an einer Tafel versammeln? Diese Frage, in Anlehnung an Platos „Gastmahl“ und das christliche Abendmahl, stellte sich Regisseurin Barbara Frey und beauftragte fünf Autorinnen aus fünf Ländern, Texte für das Burgtheater zu schreiben. Herausgekommen ist mit „Das europäische Abendmahl“ ein in seiner Selbstreflexion furioser Abend, der Europa auf den Prüfstand stellt.
Die Bühne des Akademietheaters erinnert bei der Uraufführung am Freitagabend an eine jener verlassenen Lagerhallen, in denen sich Flüchtlinge derzeit an den Rändern der EU vor der Kälte in Sicherheit zu bringen versuchen. Hohe Wände, keine Türen und Fenster, ja sogar das Glasdach ist abgetragen. Drinnen Berge von Rollsplit, aus dem vereinzelt lädierte Stühle ragen, zuweilen auch Menschen. In diesem Setting von Martin Zehetgruber setzen sich die Texte von Terezia Mora, Elfriede Jelinek, Nino Haratischwili, Jenny Erpenbeck und Sofi Oksanen mit der aktuellen Lage in der westlichen Welt auseinander, die von der Schere zwischen arm und reich, geflüchtet und „eingeboren“ geprägt ist.
Den Anfang an diesem rund 100-minütigen Abend macht „Mari“ von der aus Ungarn stammenden, vielfach ausgezeichnete Autorin Terezia Mora: Kirsten Dene, die bereits einen Auftrittsapplaus erhält, sitzt auf einem Sessel und berichtet von ihrer Begegnung mit dem Flüchtling Hamid, den sie quasi von ihrer Tochter, die vor einiger Zeit in die USA gegangen ist, zur Betreuung „geerbt“ hat. Einmal pro Woche treibt sie mit ihm Konversation, staunt über seine Wortschöpfungen und sinniert zugleich über die zahlreichen Bettler, die ihr beim Einkaufen den Weg zum Eingang versperren. Kirsten Dene überzeugt dabei als distinguierte Kosmopolitin, deren Weltbild in den vergangenen Jahren zugunsten eines latenten Rassismus gekippt ist, den sie durch klar begrenzte Mitmenschlichkeit doch zu übertünchen versucht. Am Ende gerät sie zur Einsicht: „Meine wichtigste und einzige Tugend ist, dass ich mich selbst erhalten kann und niemandem aktiv schade. Zur Person des Jahres macht mich das nicht gerade, aber es ist mehr als nichts.“
Kein Blatt vor den Mund nehmen sich hingegen Sylvie Rohrer und Frida-Lovisa Hamann, die in Jelineks wütender Tirade „Frau aus Österreich“ barfuß im Pelzmantel über die Schotterberge fegen. „Es kommen immer andere an, die woanders umkommen würden. Niemand weiß, wie viele. Wie viele sich auf den Weg gemacht haben, aber wohin der Weg führt, das zeigen wir ihnen, hier, das Schild, hier können Sie es ablesen“, poltert Rohrer. Und im Chor mit ihrer ansonsten bloß zuhörenden Partnerin Hamann: „Germany. Wir bringen Sie gern von A nach B, denn wer A sagt, muss auch B sagen.“ Jelinek widmet sich dabei der ambivalenten heimischen Willkommenskultur, die schließlich hundertausendfach in einer Weiterleitungskultur nach Deutschland mündete. Im Zentrum steht der mythologische Stier, der Europa zu verführen gedenkt. Der Strom der Gedanken führt schließlich bis ins Tiefkühlregal der Supermärkte, die mit Rabattmarken für fein säuberlich portionierte Tierkadaver werben. Doch was ist der Wert eines Menschenlebens?
Nach dieser mitreißenden, rasenden Polemik, in der das Lachen dem Zuschauer nicht selten im Hals stecken bleibt, betritt Maria Happel in Leggins, Glitzertop und hochhackigen Schuhen den Raum. Mit blonder Perücke gibt sie die Putzfrau Marusja, die die Welt nicht mehr versteht. Als sie vor vielen Jahren aus dem Osten in den Westen kam, hat sie niemand vom Bahnhof abgeholt, geklatscht und ihr eine warme Decke angeboten. Von Anfang an hat sie versucht, all die komplizierten Worte zu lernen (etwa „Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz“), um ihre Gast- und Dienstgeber zu beeindrucken. Wenn du wo neu ankommst, musst du besser sein als die, die schon da sind. So hat sie es sich vorgestellt, lässt die aus Tiflis stammende Nino Haratischwili lamentieren. Und jetzt? Jetzt putzt Marusja in einem Flüchtlingsheim für Menschen, die vielleicht gar keine Kultur haben, die stinkendes Essen kochen und in der Unterkunft keinen Finger rühren. Maria Happel gibt die enttäuschte Frau mit viel ehrlicher Emotion, wirkt aber dennoch mehr wie eine heimische Hausmeisterin denn eine russische Migrantin, was den Text streckenweise ein wenig an Glaubwürdigkeit einbüßen lässt.
Nicht der Migration, sondern dem sozialen Gefälle innerhalb Europas widmet sich die Finnin Sofi Oksanen in „Darja und Mary“: Ebenfalls auf Stühlen sitzend berichten sie abwechselnd von einem der wichtigsten Momente ihres Frauenlebens: Während sich die distinguierte, von erfolglosem Kinderwunsch aufgezehrte Britin Mary (Catrin Striebeck) auf ihren Flug nach Kiew vorbereitet, wo sie ihre Eizellspenderin Darja (Katharina Lorenz) kennenlernen soll, erlebt man diese im knallharten „Jobinterview“. Vom Band kommt die strenge Stimme von Elisabeth Orth, die die Klientin auf Herz und Nieren prüft. Anzahl der Sexualpartner, psychische Krankheiten in der Familie, Ausbildung und Lebensweg. All diese Daten entscheiden darüber, ob sie in das lukrative Programm zur Eizellentnahme zugelassen wird. Ein gefährliches Unterfangen, das weiß Darja, aber ihre Familie hat Schulden und was soll schon passieren. Oksanen schafft ein trauriges Panorama rund um den Wirtschaftszweig Fortpflanzung, die Ausbeutung der Armen zugunsten des Kinderwunschs der Reichen.
Seltsam entrückt wirkt dann der letzte Text des Abends, Jenny Erpenbecks „Frau im Bikini“, in dem sich Frida-Lovisa Hamann engelsgleich mit ihren Angststörungen auseinandersetzt. Wie kann man sich im Kontext der westlichen Rüstungsindustrie noch vor die Haustüre trauen oder gar ins Schwimmbad? In allen Städten, die sie besucht hat – sei es Venedig oder Paris – sind die Häuser plötzlich gekippt, die Fassaden lagen Flach auf der Straße und „ringsum war plötzlich nur Wasser und Erde“. „Nein, ich kann nicht schlafen. Irgendwas muss mir einfallen“, schließt die junge Frau und lässt den Zuschauer genauso ratlos zurück, wie sie sich fühlt.
Lang anhaltender Applaus beendete den Abend, der nicht nur die poetische wie gesellschaftskritische Kraft europäischer Autorinnen unter Beweis stellt, sondern auch zum Nachdenken anregt. Über das, was man denkt und vor allem: Über das, was man so sagt. Am Ende finden sich alle Protagonistin an einer Tafel wieder. Ob es das letzte Abendmahl ist? Und was kommt danach?
S E R V I C E - Jenny Erpenbeck, Nino Haratischwili, Elfriede Jelinek, Terézia Mora, Sofi Oksanen: „Ein europäisches Abendmahl“, Regie: Barbara Frey. Weitere Termine im Akademietheater: 31.1., 4. und 11. 2. Infos und Karten unter www.burgtheater.at)