Politologe: Erwarte instabile Regierung in Sofia
Sofia/EU-weit (APA) - Die vorgezogenen Parlamentswahlen in Bulgarien haben ein zersplittertes Fünf-Parteien-Parlament hervorgebracht. Auf ei...
Sofia/EU-weit (APA) - Die vorgezogenen Parlamentswahlen in Bulgarien haben ein zersplittertes Fünf-Parteien-Parlament hervorgebracht. Auf eine Koalitionsregierung werden sich vermutlich der Wahlsieger GERB und die „Vereinten Patrioten“ einigen. Doch die Nationalisten sind kein Traumpartner und politische Beobachter in Bulgarien gehen von Neuwahlen nach der EU-Ratspräsidentschaft 2018 aus.
Die bürgerliche Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) von Ministerpräsident Bojko Borissow hatte mit 32,6 Prozent der Stimmen die Wahl gewonnen, die absolute Mehrheit im Parlament aber deutlich verfehlt. Mögliche Koalitionspartner wären jetzt das nationalistische Bündnis Vereinigte Patrioten (WMRO), mit denen die GERP mit 122 von 240 Mandaten eine knappe Mehrheit im Parlament erreichen würde. Dies dürfte nun die einzig mögliche Regierungskoalition sein, weil die oppositionellen Sozialisten eine Große Koalition ausgeschlossen hatten. Die aus den früheren Kommunisten hervorgegangenen Sozialisten wurden mit 27,1 Prozent der Stimmen die zweitstärkste politische Kraft. Gerade diese Konstellation - eine Große Koalition aus GERB und Sozialisten - soll inoffiziellen Angaben zufolge der Wunsch Brüssels sein.
Sowohl die EVP, der die GERB angehört, als auch die Partei der Europäischen Sozialdemokraten und Sozialisten (PES) empfahlen beiden Parteispitzen in Sofia, sich auf eine stabile Regierung zu einigen. Eine Rolle in der komplizierten Regierungsbildung dürfte auch das angespannte Verhältnis zwischen der EU und der Türkei spielen, das sich auch auf den Wahlkampf in Bulgarien ausgewirkt hatte. Der Konflikt sei auch der Grund, weshalb die GERB Bedenken habe, mit den Vereinigten Patrioten zu koalieren, weil sie ihren Wahlkampf mit türkeifeindlichen Parolen geführt hatten. Auffallend ist, dass GERB-Parteichef und Spitzenkandidat Borissow die Koalitionsverhandlungen auf nächste Woche verschob, während er am Dienstag mit dem vollzähligen Parteivorstand zu einer EVP-Tagung nach Malta reiste.
Angesichts der erwarteten komplizierten Regierungsbildung gehen politische Beobachter davon aus, dass Bulgarien nach der EU-Ratspräsidentschaft ab Jänner 2018 vor Neuwahlen stehen wird. Der designierte Ministerpräsident Borissow hatte sich am Wahlabend für eine schnelle Regierungsbildung ausgesprochen. Im Hinblick auf den potenziellen Koalitionspartner Vereinigte Patrioten warnte er aber vor all zu großen Kompromissen.
Die Soziologin Borjana Dimitrowa bezeichnete die nationalistische Drei-Parteien-Formation als unvorhersehbaren Partner. „Außerdem wird man die Nationalisten in der Regierung in Europa schwer schlucken“, sagte sie in bulgarischen Medien. Der Politikwissenschafter Antoni Galabow sieht darüber hinaus „gravierende politische Unterschiede“ zwischen der bürgerlichen GERB und den Patrioten, obwohl diese die GERB-geführte Regierung auch bisher unterstützt hatten, ohne eine Koalitionsvereinbarung abgeschlossen zu haben. Nun werden sie aber ihre Beziehung offiziell überdenken müssen, so Galabow, der warnt, dass die Rolle der Nationalisten bei der Entscheidungsfindung an Bedeutung gewinnen werde. „In einem so zerstückelten Parlament ist eine Koalitionsvereinbarung enorm wichtig, denn sie umreißt die Grenzen der Kompromisse“, analysiert der Politologe. Und weiter: „Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen, jedoch erst Ende kommenden Jahres, was nicht unbedingt auf die EU-Ratspräsidentschaft zurückzuführen ist, sondern viel mehr auf die fortdauernde Unzufriedenheit in der bulgarischen Gesellschaft.“ Galabow zufolge hätten vorgezogene Parlamentswahlen noch in diesem Jahr „verheerende Folgen“ für Bulgarien.
Auch der Parteiforscher Daniel Smilow erwartet eine instabile Regierung von beschränkter Lebensdauer, schließt aber eine Minderheitsregierung nicht aus. „So können sich Parteien, die sonst nicht miteinander koalieren würden, auf ein Regierungsprogramm einigen“, sagt Smilow im Interview mit der Nachrichtenagentur Fokus. Er geht davon aus, dass die Vereinigten Patrioten das dritte Kabinett Borissow erneut ohne Koalitionsvereinbarung und ohne Ministerposten unterstützen werden. Dies wäre für das Image der GERB in der Europäischen Union die bessere Variante, da die Vereinigten Patrioten dort als Nationalpopulisten angesehen werden, argumentiert der Politologe.
Die politischen Beobachter in Sofia betrachten auch die populistische Formation „Wolja“ (zu Deutsch: Wille) des Geschäftsmanns Wesselin Mareschki als potenziellen, jedoch von der GERB nicht gerade heiß geliebten Koalitionspartner. „Mit lediglich zwölf Abgeordneten kann diese neue Partei höchstens eine untergestellte Rolle spielen“, meint Smilow. In einer ähnlichen Rolle sieht er auch die liberale Türkenpartei DPS.
Die schwierige Regierungsbildung nach den vorgezogenen Parlamentswahlen in Bulgarien führen politische Beobachter unter anderem auch auf die zersplitterten Konservativen zurück, die den Sprung ins Parlament nicht geschafft haben. Unter der Vier-Prozent-Hürde blieb der pro-westliche Reformblock, der bis zuletzt Koalitionspartner in Borissows Mitte-Rechts-Regierung gewesen war. „Mit den nun drei konservativen Parteien hat die bürgerliche GERB ihren natürlichen Koalitionspartner verloren“, kommentiert der Meinungsforscher Kantscho Stojtschew vom Meinungsforschungsinstitut Gallup International. Der Reformblock um die frühere EU-Kommissarin Meglena Kunewa hatte als Juniorpartner die im November zurückgetretene Regierung legitimiert, so Stojtschew.
Die bulgarische Verfassung sieht keine Frist für den Regierungsauftrag des Präsidenten vor. Sollte die Regierungsbildung durch die stärkste parlamentarische Kraft scheitern, ist die zweitgrößte Fraktion am Zug. Die Parteivorsitzende der Sozialisten, Kornelia Ninowa, hatte am Wahlabend angekündigt, einen Versuch zu unternehmen, sollte die GERB kein Kabinett bilden können. Doch auch die Sozialisten haben keine passenden Koalitionspartner im Parlament, insbesondere nachdem Ninowa mehrmals erklärt hatte, die Türkenpartei DPS habe den Sozialisten in der Nachwendegeschichte Bulgariens nur Nachteile gebracht. Die Sozialistische Partei und die Vereinigten Patrioten eint eine grundsätzliche russlandfreundliche Haltung, doch ihre Formation käme auf keine parlamentarische Mehrheit.