Diagonale Film Meeting: Alles, nur nicht Mittelmaß

Graz (APA) - Selbstkritisch den Status quo zu ermitteln und Strategien zu finden ist das Ziel des zweitägigen Diagonale Film Meetings. „Und:...

Graz (APA) - Selbstkritisch den Status quo zu ermitteln und Strategien zu finden ist das Ziel des zweitägigen Diagonale Film Meetings. „Und: Dinge auch mal offen auszusprechen“, sagte Festival-Co-Leiter Sebastian Höglinger beim Auftakt zum Thema Popularität und Potenzial des österreichischen Films im Inland am Mittwoch. „Wir sind alle in derselben Branche und wissen: Da wird auch mal hinterrücks gesprochen.“

Im sehr gut besuchten Salon „Frühling“ des Grazer Hotels Wiesler blieb die Branche dann auch unter sich: Der angekündigte Eröffnungsredner, Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ), sei nämlich überraschend bereits nach der Eröffnung am Vorabend abgereist. Dabei hätte man sie gerne gehört, seine „Vision für den österreichischen Film in fünf Jahren“, so Initiator Dominik Tschütscher eingangs.

Drehte sich beim Branchen-Thinktank im Vorjahr alles um Diversität im Kino, liegt der nunmehr zweiten Ausgabe die Diskrepanz zwischen dem mit zwei Auslands-Oscar prämierten, oft ausgerufenen österreichischen „Filmwunder“ und den teils ernüchternden Einspielergebnissen in der Heimat zugrunde: 70 Prozent der 2016 in Österreich angelaufenen heimischen Produktionen erzielten laut Statistik des Österreichischen Filminstituts (ÖFI) weniger als 7.000 Besucher - teils renommierten Preisen und internationalen Festivaleinsätzen zum Trotz.

Der nationale Marktanteil ist zwar zuletzt deutlich gestiegen, liegt mit 5,3 Prozent aber im Europavergleich weiterhin im unteren Drittel, rechnet die Diagonale vor. Auf einem „kleinen, synchronisierten und mit Deutschland vermischten Filmmarkt“ hätten österreichische Produktionen es besonders schwer, Aufmerksamkeit zu erregen, sagte ÖFI-Direktor Roland Teichmann in seinem Eingangsstatement. Hinzu komme die kontinuierlich steigende Anzahl an Kinostarts - im Vorjahr waren es über 410, davon 50 österreichische. „Dieses kannibalisierende Überangebot ist schwer zu regeln, vor allem vonseiten der Förderung.“

Ganz ausgeschöpft habe der österreichische Film sein Potenzial aber nicht, ist Teichmann überzeugt. Zwar sei es „nahezu Naturgesetz“, dass amerikanische Filme mit etwa 30 Prozent des Filmangebots 70 Prozent des Kinomarktes beherrschen. Rechne man „ganz nüchtern, bleiben etwa 5 Millionen als Markt für Filme nicht-amerikanischer Provenienz übrig“. Davon entspreche ein Viertel, also 1,2 Millionen Besucher, dem Potenzial des österreichischen Films. „Dies zu erreichen, müsste unser Ziel sein.“

Bei der Frage nach möglichen Ansätzen, um ein größeres Publikum anzusprechen, ist man sich freilich auch in Graz nicht einig, landet die Diskussion doch unweigerlich bei Fragen wie Kunst versus Kommerz oder Genre- versus Autorenkino. Während Produzent Helmut Grasser unter Kopfschütteln im Publikum anregt, sich an publikumswirksamen Fernsehproduktionen zu orientieren (immerhin erreiche ein ORF-Landkrimi mit 700.000 Zusehern mehr Publikum als der österreichische Film gesamt im Jahr im Kino), plädierte Filmemacherin Veronika Franz dafür, Erfolg nicht nur an Besucherzahlen festzumachen.

„Zählen 6.000 Besucher, die sich mit Jessica Hausners ‚Amour Fou‘ befassen, nicht mindestens genauso viel wie 200.000, die einen Dokumentarfilm über die Streif anschauen?“, so die „Ich seh Ich seh“-Regisseurin unter großem Applaus. „Kino ist eine Kunstform, die nicht populär sein muss, sondern populär gemacht werden muss - als Kunst, und nicht als Quotenkuh.“ Im Sinne des Kulturauftrags solle Film „etwas bewirken im Menschen und in der Welt, etwas sagen über den Menschen und die Welt“. Michael Haneke und Ulrich Seidl würden beweisen, dass es „Kino gibt, das alles andere als populär ist und dennoch ein großes Publikum erreichen kann“. Beide hätten mit ihren ersten Filmen nur an die 5.000 Kinobesucher erreicht. „Sie konnten sich nur zu Aushängeschildern und Botschaftern des österreichischen Films entwickeln, weil Förderinstitutionen, Fernsehanstalten und Produzenten an sie geglaubt haben.“

Dementsprechend brach Barbara Fränzen, Leiterin der Filmabteilung des Bundeskanzleramts, dann auch eine Lanze für mehr Risikobereitschaft. „Noch nie hat der größte gemeinsame Nenner etwas Herausragendes hervorgebracht“, so Fränzen, die kritisiert, dass allzu oft Mittelmäßiges ins Kino komme, das „noch mehr Weiterentwicklung gebraucht hätte“. Sie sieht das Potenzial des heimischen Films im Kino ausgeschöpft und regt daher neue Verbreitungskanäle an. „Wir müssen in größeren Zusammenhängen denken, müssen reflektieren, was wir tun und auf Veränderungen reagieren, die sich bei Produktionsbedingungen und Rezeption gerade abspielen.“

Neue Verwertungsmöglichkeiten in Zeiten technologischen Fortschritts kristallisieren sich dann auch nach einigen Stunden als zukunftsbringend heraus - könnten über digitale Kanäle Interessensgruppen doch gezielter und vor allem auch außerhalb Österreichs angesprochen werden. Dass sich Marketing-Aufwand auszahlt, hat Veronika Franz in den USA erlebt: Während ihr von Severin Fiala co-inszenierter, viel gepriesener Psychothriller „Ich seh Ich seh“ hierzulande auf knapp 10.000 Besucher kam, sahen ihn in Nordamerika dank millionenfach geklicktem Trailer und ausgefeiltem Werbekonzept 1,2 Mio. Menschen. „In die Vermarktung gehört mehr Geld investiert“, ist Franz überzeugt. „In den USA kommen Filme ein Jahr nicht heraus, weil so lange daran gearbeitet wird. Das ist hier nicht existent.“

Um Verleih-Alternativen über den Kinosaal hinaus geht es dann auch am späten Nachmittag beim Film Meeting, ehe man sich am morgigen Donnerstag dem Image des österreichischen Films als „abgründig“ widmet. Ob der Wunsch von Moderator Arash T. Riahi in Erfüllung geht, „dass hier am Ende alle mit positiver Stimmung den Raum verlassen“, wird sich weisen.

(S E R V I C E - Die 20. Diagonale läuft noch bis zum Sonntag. www.diagonale.at)