Geisterbahnfahrt im Wagner-Spital
Die Wiener Staatsoper gönnt sich mit „Parsifal“, inszeniert von Alvis Hermanis, ihre nächste Regie-Pleite. Auch musikalisch ist der Abend kein Ereignis.
Von Stefan Musil
Wien –Wer ein schlechtes Gustav-Klimt-Lookalike sehen möchte, braucht nur in die Staatsoper zu gehen. Dort wackelt der arme, so verkleidete, Chorist gerade auf der „Parsifal“-Bühne herum. Im Walle-Mantel und mit bis in die hinteren Reihen sichtbar schlecht aufgepickter Glatze. Es ist nur einer von vielen in dieser Wiener Fin-de-Siècle-Zombie-Parade, die am Donnerstag erstmals die Staatsopernbühne bevölkerte.
Man könnte auch eilige Touristengruppen durch diesen neuen „Parsifal“ schleusen. Denn so viel Otto-Wagner-Architektur wie hier geht sich in drei Tagen Stadtbesichtigung nicht aus. Stadtbahn-Pavillons, Baumgartner Höhe, Kirche am Steinhof und sogar der Schriftzug des Portals für das Depeschenbüro „Die Zeit“ kommt zum Einsatz. Dann nämlich, wenn im dritten Aufzug der Gral hervorgeholt wird und erneut zum Raum die Zeit wird. Dann sieht man den Schriftzug an der Wand kleben.
Es ist nicht das einzige Mal, dass man sich die Augen reibt. Man ist einen ganzen Abend lang nicht sicher, ob hier eine Persiflage zu bestaunen ist oder ob es Regisseur Alvis Hermanis ernst gemeint hat. Schon zu Beginn verschluckt man sich fast an der Plattheit der Pointe: „Wagner-Spital“ steht da auf der Otto(!)-Wagner-Architektur, aus der sich Hermanis die eigene Bühne zusammengestoppelt hat. Ein heiteres Ratespiel für Architekturhistoriker. Doch Hermanis sieht Richard Wagners Parsifal im Wien um 1900, einer „Brutstätte des Neuen“, einem „Laboratorium der Zukunft“, in der die Wissenschaften allesamt auf der Suche nach ihrem Gral waren. Steinhof, Wiens berühmtes psychiatrisches Krankenhaus, ist dabei eine „Metapher, wie die menschlichen Gehirne sich rüsteten für die neue Zeit“. Am Ende senkt sich wohl deshalb zur komponierten Licht-Apotheose die goldene Altarkuppel aus der Steinhof-Kirche auf ein monströses Gehirn, das in der Bühnenmitte liegt. Nur eines von vielen schlecht gedachten, unsinnig hässlichen Bildern.
Gurnemanz, dem der eingesprungene René Pape verinnerlicht-sonoren, wortdeutlichen Bassklang schenkt, für den er den mit Abstand lautesten Beifall bekommen wird, ist hier ein Arzt. Der meiste Rest sind Patienten in der Psychiatrie. Der wohl billigste Theaterkniff, der jegliche Logik entsorgt. Gerald Finley gibt mit blutigem Kopfverband aus dem Spitalsbett heraus ausdrucksintensiv, glasklar deklamierend den Amfortas. Auch Kundry passt als gespaltenes Wesen wunderbar in die Zwangsjacke. Nina Stemme beeindruckt dabei auch akrobatisch, wenn sie im Gitterbett hysterisch die Brücke macht. Toll sind ebenso ihre kraftvollen Spitzentöne, die sie im zweiten Aufzug herausschleudert. Sie wird hier als Verführerin von Klingsor unter ihren Schreien mit Elektroschocks wiederbelebt. Denn Klingsor (dramatisch schwächelnd: Jochen Schmeckenbecher) ist der ärztliche Konterpart zu Gurnemanz. Jener, der ohne Glauben und in der Pathologie praktiziert. Er schiebt dann Kundry auf der Freud-Couch in einer kitschigst glitzernden Monsterrobe Parsifal entgegen. Der tadellose Christopher Ventris hat als dieser Heilsbringer soeben den gut besetzten Blumenmädchen widerstanden. Als Truppe lauter gleicher Soufragetten sind die auch nicht gerade prädestiniert, um zu verführen. Aber auch Nina Stemmes erotisches Stimmpotenzial hat Grenzen. Am Ende wird der Jubel für ihr Rollendebüt ein durchaus verhaltener sein.
Ein paar Buhs gibt es schon nach dem zweiten Aufzug für den Dirigenten Semyon Bychkov. Der setzt auf sehr fein ausdifferenzierte, ganz sängerfreundliche Orchesterlinien, hat mit dem Staatsopernorchester, das nur im Holz übermäßig schwächelt, hervorragend gearbeitet. Eine bewundernswerte Leistung, über der ihm allerdings auch einiges an Spannung, besonders im zweiten Aufzug, verloren gegangen ist. Sein Trost: Der wütende Protestorkan, der dem Regieteam entgegenschlug, war selbst für Wien erstaunlich!