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Soziologe: „Wir sind süchtig nach unseren Handys“

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MIT-Forscher Federico Casalegno spricht im TT-Interview darüber, wie der technologische Wandel das Verhalten des Menschen beeinflusst hat.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Art und Weise, wie wir leben, stark verändert — dank Breitbandinternet und Smartphones. Wohin geht die Reise in den kommenden zehn Jahren?

Federico Casalegno: Wir brauchen nach wie vor das persönliche Gespräch. Aber die jüngste Generation kennt nichts anderes als mobile Konversation — also Unterhaltung per Facebook, WhatsApp und Co. Sie sind viel weniger einer Unterhaltung von Angesicht zu Angesicht ausgesetzt — bei der man sich berührt oder in die Augen schaut. Augenkontakt während eines Gespräches wiegt aber viel schwerer als eine Textnachricht. Diese sozialen Fähigkeiten sind irgendwie unterentwickelt. Textnachrichten sind eher eine Transaktion. Man sendet eine Nachricht. Aber eine Unterhaltung, bei der man sich trifft, ist ganz anders. Da gibt es Gerüche, man tauscht Blicke aus, aber auch die Stimme ist wichtig. Die Technologie versucht, das zu erreichen — davon sind wir aber weit entfernt.

Herr Casalegno, Sie sind Sozialwissenschafter und experimentieren mit neuen Technologien. Formt die Technologie unser Verhalten oder unser Verhalten die Technologie?

Casalegno: In unserer Forschung versuchen wir, menschliches Verhalten zu verstehen, und dann passen wir die Technologien daran an. Das heißt, wir entwerfen nicht Menschen für Technologien, sondern Technologien für Menschen. Das MIT ist zwar die beste Einrichtung für technologische Innovation. Aber für uns heißt es stets: die Menschen zuerst. Im Moment treibt uns jedoch die Technologie.

Was meinen Sie damit?

Casalegno: Nehmen wir als Beispiel den Fernseher. Wir sehen den ästhetischen Unterschied zwischen einem Röhren- und einem Flachbildfernseher. Wir erkennen auch den qualitativen Unterschied zwischen Schwarz-Weiß- und Farbfilm. Aber unsere Augen sehen keinen Unterschied mehr zwischen 4K- (Ultra-HD) und 5K-Bild. Auch die Auflösung auf unseren mobilen Geräten ist so hoch, dass wir keinen Unterschied mehr wahrnehmen können. In diesem Fall erfüllt der technologische Fortschritt seinen Zweck für uns Menschen nicht. Wenn wir uns an die mobile Revolution erinnern — das fing ungefähr mit dem iPhone 2007 an.

Da wurde doch auch zuerst die Technologie erfunden und der Mensch passte dann sein Verhalten an?

Casalegno: Es gibt einige Studien, die zeigen, dass wir die beste App unserer Smartphones sind. Weil wir ein zwanghaftes Verhalten entwickelt haben, ständig unsere ­E-Mails oder andere Informationen zu checken. Im Grunde sind wir süchtig nach unseren Handys. Was wir tun können, ist herauszufinden, welche Relevanz etwas für uns hat und welche Art von Technologie unser Erlebnis besser unterstützen kann. Das Gespräch führte Serdar Sahin