Jean-Luc Melenchon - Zweiter Frühling für den linken Volkstribun
Paris (APA/AFP) - Dass Jean-Luc Melenchon noch einmal einen Wahlkampf in Frankreich aufmischen könnte, hatte lange keiner für möglich gehalt...
Paris (APA/AFP) - Dass Jean-Luc Melenchon noch einmal einen Wahlkampf in Frankreich aufmischen könnte, hatte lange keiner für möglich gehalten. Der Linksaußen, der bei der Präsidentschaftswahl 2012 für Furore gesorgt hatte, schien seinen Zenit längst überschritten zu haben. Doch jetzt wirbelt der 65-jährige Gründer der französischen Linkspartei wieder das Rennen um den Elysee-Palast auf und legt in Umfragen zu.
An Melenchon scheiden sich die Geister: Die einen verehren ihn als Verteidiger des einfachen Volkes und Kämpfer für linke Ideale, die anderen verdammen ihn als Populisten und ewiggestrigen Provokateur. Kalt lässt Melenchon jedenfalls niemanden in Frankreich.
„Seine Stärken können seine Schwächen sein“, sagt ein langjähriger Wegbegleiter. „Er ist authentisch, fordernd, unnachgiebig. Auf die Spitze getrieben ist er fanatisch, hart, cholerisch und manchmal pöbelhaft.“
Melenchon teilt gerne aus, gezielt provozierend, häufig sehr grob. „Maul zu, Frau Merkel“, twitterte der Europaabgeordnete einmal, wohlgemerkt auf Deutsch, als die deutsche Bundeskanzlerin Frankreich mehr Reformen nahelegte. Auch die Politik des sozialistischen Staatschefs Francois Hollande hat er immer wieder scharf attackiert.
Der Anhänger des französischen Revolutionärs Robespierre und des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez nimmt für sich in Anspruch, „Klartext“ zu reden: „Mit dem Aussehen eines Kommunionkindes und einer Flötenstimme kann man nicht das vorschlagen, was ich vorschlage“, sagte der wortgewaltige Ex-Senator kürzlich. „Manchmal hat man keine Wahl: Man muss die Türen mit Fußtritten aufstoßen.“
Für Melenchon - Wahlkampfslogan „Das unbeugsame Frankreich“ - sind Neoliberalismus und europäische Sparvorgaben für Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise verantwortlich. Die EU-Verträge will er neu verhandeln oder aufkündigen, womöglich den Euro aufgeben. Mit einem 100 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm will er die Wirtschaft ankurbeln, Mindestlohn und Sozialleistungen erhöhen, das Pensionsalter senken.
Der studierte Philosoph hat mit seinem Wahlprogramm viele Linkswähler für sich gewonnen, die sich während Hollandes Amtszeit enttäuscht von den Sozialisten abgewandt haben. Laut einer Umfrage verkörpert Melenchon für die Franzosen am besten die Linke. So nimmt er dem sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Benoit Hamon viele Stimmen weg: Bei den Wahlabsichten hat er den blassen Ex-Bildungsminister überrundet, liegt derzeit mit rund 15 Prozent auf dem vierten Platz.
Das reicht noch lange nicht, um in die Stichwahl am 7. Mai zu ziehen. Immer wieder haben die Sozialisten an Melenchon appelliert, sich Hamon anzuschließen und auf eine eigene Kandidatur zu verzichten. Denn zusammengerechnet kommen die beiden auf rund 25 Prozent - also etwa so viel wie der Mitte-Kandidat Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die die Umfragen anführen.
Doch Melenchon will davon nichts wissen. Er hat sogar selbstbewusst als Devise ausgegeben, den drittplatzierten Konservativen Francois Fillon zu überholen.
Dass er derzeit vor Hamon liegt, muss Melenchon mit großer Genugtuung erfüllen. Denn der im marokkanischen Tanger geborene Politiker war selbst drei Jahrzehnte Mitglied der Sozialistischen Partei. 2008 kehrte er den Sozialisten, die ihm nicht mehr links genug waren, den Rücken zu und gründete die Linkspartei. Als deren Kandidat holte er bei der Präsidentschaftswahl 2012 höchst beachtliche elf Prozent.
Dieses Ergebnis will Melenchon, der den Vorsitz der Linkspartei 2014 abgab, jetzt noch einmal verbessern. „Seit einigen Tagen sind die Horoskope mir wohlgesonnen“, witzelte er am Wochenende vor tausenden Anhängern. „Es ist wie der Frühling: Man sieht ihn nicht kommen, und auf einmal sind die Blumen da.“