Pflege bei Demenz: „Plötzlich sollst du die Starke sein“
Demenz spielt eine immer größere Rolle in der Gesellschaft. Aber nicht nur die Betroffenen leiden darunter, sondern auch die pflegenden Angehörigen. Diese treffen aber noch immer auf viel Unverständnis.
Von Harald Angerer
Kitzbühel –Plötzlich ändert sich das Leben – die Diagnose „Demenz“ wird immer häufiger und verändert damit nicht nur das Leben des Erkrankten selbst, sondern auch dessen unmittelbares Umfeld. Die pflegenden Angehörigen stehen vor riesigen Aufgaben, doch nicht nur die Betreuung selbst ist eine große Belastung. „Die Menschen kennen den Namen der Krankheit, aber wissen einfach nicht, was es wirklich ist“, schildert eine Brixentalerin, die mehrere Jahre lang ihre kranke Mutter zu Hause gepflegt hat, gegenüber der TT. Sie will anonym bleiben, nicht zuletzt ob des weit verbreiteten mangelnden Verständnisses der Mitmenschen.
Auch Katja Gasteiger bestätigt, dass es in der Bevölkerung noch zu wenig Verständnis für die Krankheit gibt: „Die Menschen haben noch zu wenig Erfahrung mit Demenz.“ Gasteiger ist diplomierte Pflegefachfrau, Diplom-Krankenschwester, ehemalige Pflegedienstleiterin eines Pflegeheims und Caritas-Demenzreferentin.
„Bevor wir die Diagnose hatten, wusste ich eineinhalb Jahre lang nicht, was mit meiner Mutter los ist. Wir dachten zuerst an die Nachwirkung von Operationen“, schildert die Brixentalerin. Es habe eine Persönlichkeitsveränderung bei der Mutter, mit der sie im gleichen Haus wohnt, stattgefunden. „Wir waren vorher ein super Team und plötzlich haben wir nur noch gestritten. Ich hab’ den Menschen nicht mehr gekannt“, sagt die Betroffene. Eine solche Persönlichkeitsveränderung sei das erste Symptom der Krankheit, „die Gedächtnisstörungen kommen erst später“, schildert Gasteiger.
Ein Besuch in einer Gedächtnisambulanz brachte dann die Klarheit und die Diagnose Demenz. „Wir hatten dann einen Namen für das Ganze, aber leichter wurde es damit nicht“, schildert die Frau, die noch dazu Alleinerzieherin ist. Sie musste sich dann mit der Krankheit befassen, hat eine Selbsthilfegruppe aufgesucht. Es drehte sich ab sofort alles um die Mutter und die Krankheit. Eine schwierige Situation, „denn plötzlich musst du die Starke sein, und deine Mutter, die dich aufgezogen hat und zu der du aufsiehst, ist die Schwache.“ Sie wollte die Mutter so wenig wie möglich alleine zu Hause wissen und nutzte die Angebote des Sozialsprengels wie den Besuchsdienst oder Essen auf Rädern. „Es war aber schwierig. Meine Mutter hat alles, was ihr wichtig war, versteckt. Wir mussten sogar durch das Fenster ins Haus einsteigen, weil sie die Schlüssel versteckt hatte“, schildert die pflegende Tochter.
Erschwerend kam dazu, dass sie keine Unterstützung von ihren Geschwistern bekam. Im Gegenteil, eher noch Vorwürfe. „Die haben mir nicht geglaubt, wie die Situation ist. Sie meinten: Das wirst du wohl schaffen“, schildert sie und Gasteiger bestätigt: „Zum einen gibt es bei Demenzpatienten keine Krankheitseinsicht.“ Zum anderen würden „Sonntagsangehörige“, wie sie sie nennt, die Krankheit kaum wahrnehmen oder sie auch verdrängen.
Damit kommen auch die Schuldgefühle und die Angst, es könnte der Mutter etwas passieren, wenn niemand bei ihr ist. „Ich arbeite Teilzeit und habe mich bemüht, dass mein Job nicht darunter leidet“, schildert die Frau. Trotzdem kommen auch Existenzängste dazu; aber auch die eigenen Kinder bekommen nicht mehr die Aufmerksamkeit, die sie bekommen sollten. So beginnt sich eine Spirale zu drehen, in die Überlastung und Einsamkeit. „Man ist extrem ausgelaugt, will sich mit niemandem treffen. Ich hätte mich ja gar nicht getraut, wegzufahren“, schildert die Frau. „Die soziale Isolation ist sehr typisch bei pflegenden Angehörigen“, bestätigt auch Gasteiger. Es passiert aber schleichend, so fällt es dem Umfeld kaum auf.
Die Selbsthilfegruppe habe der Frau aber viel geholfen. „Es ist nicht leicht, Hilfe anzunehmen. Doch es ist wichtig“, will sie Betroffenen Mut zusprechen. Der Schlussstrich erfolgte aber auch bei ihr erst kurz bevor es zu spät war. „Ich war im Burn-out und habe eine Kur bekommen“, schildert sie. In dieser Zeit wurde die Mutter im Altersheim untergebracht. Nach der Rückkehr stand dann die schwierigste Entscheidung an – ob sie die Mutter wieder nach Hause holt. „Wie hast du das Recht, sie ins Altersheim zu stecken?“, solche Fragen beschäftigten dann die Frau. Sie habe die Entscheidung alleine getroffen, ohne ihre Geschwister. Der Schritt war aber der richtige, betont sie im Rückblick. Sowohl der Mutter als auch ihr geht es nun besser. „Auch unsere Beziehung zueinander ist wieder viel besser und ich sehe, dass es ihr im Altersheim gut geht“, schildert die Frau.