USA drohen mit Syrien-Alleingang, Assad hält Gespräche für sinnlos
Der syrische Präsident Bashar al-Assad nennt den „Sieg“ als einzige Option im Syrien-Krieg. Die US-Regierung erklärte indes, Assad habe „eine ganze Reihe von Linien überschritten“. Die USA schließen nun auch einen militärischen Alleingang nicht mehr aus.
Washington – Nach dem jüngsten Giftgasangriff im syrischen Bürgerkrieg mit laut Aktivisten mehr als 80 Toten schließen die USA ein militärisches Eingreifen nicht aus. „Alle Optionen sind auf dem Tisch“, sagte US-Vizepräsident Mike Pence am Mittwochabend (Ortszeit) dem US-Fernsehsender Fox News. Es sei Zeit, dass Russland die aus dem Jahr 2013 stammende Verpflichtung erfülle, alle chemischen Waffen in Syrien zu eliminieren.
Der syrische Präsident Bashar al-Assad sieht indes im Bürgerkrieg keinen Spielraum mehr für eine Verhandlungslösung. „Es gibt keine andere Option als den Sieg“, sagte Assad in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der kroatischen Zeitung „Vecernji List“. Seine Regierung könne mit den Oppositionsgruppen, die an den jüngsten Friedensgespräche beteiligt gewesen seien, keine Resultate erzielen. Das Interview wurde anscheinend vor dem Giftgaszwischenfall in der Provinz Idlib am Dienstag geführt, für den der Westen Assads Militär verantwortlich macht. „Ich betone, dass wir diese Art von Waffen nicht eingesetzt haben und nicht einsetzen werden, weder gegen Zivilisten noch gegen Terroristen“, sagte hingegen der syrische Außenminister Walid al-Muallim am Donnerstag.
Assad bekräftigte sein Ziel, den Bürgerkrieg durch einen vollständigen Sieg über die Rebellen zu beenden. Außerdem lehnte er die von den Kurden im Norden Syriens geforderte Autonomie ab. „Wenn wir den Krieg nicht gewinnen, wird Syrien von der Landkarte verschwinden“, sagte Assad: „Wir haben keine andere Wahl, als uns diesem Krieg zu stellen.“
Trump: „Affront gegen die Menschlichkeit“
Zuvor hatte bereits US-Präsident Donald Trump eine mögliche militärische Reaktion auf den Angriff vom Dienstag angedeutet. „Was gestern geschehen ist, ist für mich nicht akzeptabel“, sagte Trump am Mittwoch. Seine Einstellung gegenüber dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad habe sich geändert. Mit dem Angriff auf Khan Sheikhoun, bei dem 86 Menschen starben, habe Assad „eine ganze Reihe von Linien überschritten“. Welche Konsequenzen es genau geben werde, ließ der US-Präsident offen. Zu einem möglichen Militärschlag sagte er, es sei Teil seiner Politik, militärische Schritte im Vorfeld nicht zu verraten.
Die UNO-Botschafterin der USA, Nikki Haley, drohte mit einem Alleingang der USA, sollte Russland eine Verurteilung Syriens im UNO-Sicherheitsrat blockieren. Sie habe Gespräche mit Trump geführt, „in denen er sagte, er sehe Russland als Problem an“, sagte Haley am Mittwoch in einer Rede beim „Women in the World Summit“ in New York.
Haley verurteilte nicht nur Russlands Unterstützung für Assad, sondern auch das Vorgehen Moskaus im Ukraine-Konflikt. „Das sind Dinge, die wir nicht durchgehen lassen“, sagte die Diplomatin. „Ich habe Russland öfter einen auf den Deckel gegeben, als ich zählen kann“, sagte Haley. „Denn wenn sie etwas falsch machen, sagen wir das auch.“ Im Wahlkampf hatte Trump für engere Beziehungen mit Russland geworben.
Autopsie bestätigt Chemiewaffen-Einsatz
Autopsien von Opfern des Giftgasangriffs bestätigten indes nach Angaben der türkischen Regierung den Einsatz von Chemiewaffen. Der Einsatz von Chemiewaffen sei anhand von Autopsien nachgewiesen worden, sagte Justizminister Bekir Bozdag am Donnerstag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.
Die medizinischen Untersuchungen seien im südtürkischen Adana an drei Leichen aus Idlib ausgeführt worden. Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff waren rund 30 Verletzte in die Türkei gebracht worden, drei von ihnen starben. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte bereits am Mittwoch den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad für den Angriff verantwortlich gemacht. Erdogan hatte Assad als „Mörder“ bezeichnet.
Moskau lehnt UN-Resolution zu Giftgasangriff ab
Der UN-Sicherheitsrat verschob indes die geplante Abstimmung über eine Resolution zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien. Wie Diplomaten am Mittwochabend in New York mitteilten, könnte das Votum nun am Donnerstag stattfinden. Der von den USA, Großbritannien und Frankreich eingebrachte Resolutionsentwurf verurteilt den Angriff und fordert eine baldige Untersuchung.
Russland, ein enger Verbündeter Syriens, hat sein Veto dagegen angekündigt. Der vorgelegte Entwurf sei „grundsätzlich unannehmbar“, sagte die Moskauer Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Er greife den Ergebnissen von Ermittlungen voraus und benenne schon jetzt „die Schuldigen“. Laut Russland haben die syrischen Regierungstruppen nämlich nicht selbst Giftgas eingesetzt. Die syrische Luftwaffe habe vielmehr ein von Rebellen genutztes Lager mit Giftstoffen getroffen, teilte das Verteidigungsministerium mit.
Tillerson reist nach Moskau
„Unserer Ansicht nach gibt es keinen Zweifel daran, dass das syrische Regime unter der Führung von Bashar al-Assad für diesen schrecklichen Angriff verantwortlich ist“, sagte US-Außenminister Rex Tillerson am Mittwochabend vor Journalisten in Washington. Es sei an der Zeit, dass Russland seine Unterstützung für den syrischen Präsidenten überdenke. Tillerson reist kommende Woche zu Gesprächen nach Moskau. (APA/Reuters/AFP/dpa)
Internationale Pressestimmen zum Giftgas-Angriff in Syrien
„Tages-Anzeiger“ (Zürich):
„In dem Massaker steckte eine Botschaft an den Neuen in Washington: Die Bomben fielen, nachdem Trumps Diplomaten die Welt darüber informiert hatten, dass Amerika Assad nicht von der Macht entfernen wird. Über Assads Schicksal sollten die Syrer selbst entscheiden, hieß es aus Washington. Der Diktator nahm das erfreut zur Kenntnis - und machte sich umgehend daran, der Entscheidungsfindung mithilfe chemischer Kampfstoffe nachzuhelfen.
Trump wiederum teilte darauf mit, die USA stünden fest an der Seite ihrer Verbündeten, um den Angriff - Achtung! - ‚zu verurteilen‘. Die Lektion für Assad: Er kann bomben, foltern, vergasen, wie er will - vor Trump muss er keine Angst haben. Die Lektion für die Welt: Früher regierte in Washington ein Präsident, der rote Linien in die Luft malte, diese aber nicht verteidigte. Heute regiert in Washington ein Präsident, der erst gar keine roten Linien zieht, zumindest keine, die das Völkerrecht oder die letzten Reste Menschlichkeit vor Verbrechern wie Assad und seinen Komplizen in Moskau und Teheran schützen. Den Preis dafür bezahlten am Dienstag Dutzende syrische Zivilisten.“
„Politiken“ (Kopenhagen):
Bis jetzt haben sich die USA unter Trump an die Seitenlinie gesetzt und Syrien Assad überlassen, ungeachtet dessen, dass seine Legitimität vollkommen verschwunden ist. Das ist eine Tragödie für das syrische Volk und eine schmerzliche Niederlage für die Werte, für die der Westen stehen sollte. (...) Egal, was die USA tun oder nicht tun, kann Europa Syrien immer noch helfen. Wir könnten das Sammeln von Beweisen für Kriegsverbrechen unterstützen, damit sie vor Gericht kommen, die verbleibenden demokratischen Kräfte unterstützen und sichern, dass die humanitäre Nothilfe genug Geld hat. Das einzige, was wir nicht tun dürfen, ist wegsehen und aufgeben.“
„Berlingske“ (Kopenhagen):
„Es sei denn, es sollte sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit zeigen, dass Assad die Wahrheit sagt, sollte der Giftangriff westliche Politiker ein für alle Mal dazu bringen, damit aufzuhören, darüber zu fantasieren, sich mit Assad zu verbünden. Nicht, weil der Westen ihn stürzen kann. Auch nicht, weil wir eine Alternative zu ihm haben. Sondern weil wir einem Mann keine moralische Autorität verleihen wollen, der seine eigene Bevölkerung vergast, und dem ‚Islamischen Staat‘ und Al-Kaida damit ideologische Munition für die nächsten hundert Jahre Krieg gibt.“
„Lidove noviny“ (Prag):
„Um das Vermächtnis des früheren US-Präsidenten Barack Obama war es zuletzt ruhig geworden, doch der Chemiewaffen-Angriff in der syrischen Provinz Idlib hat die Diskussion darüber wieder eröffnet. (...) Obama hatte im Jahr 2012 gesagt, dass mit dem Einsatz chemischer Waffen eine rote Linie überschritten würde.
Als aber am 21. August 2013 ein Chemiewaffen-Angriff in Damaskus 1.700 Zivilisten tötete, unternahm Obama nichts. (...) In diesem Sinne hat sein Nachfolger Donald Trump recht: Syrien leidet unter den Folgen des Erbes Obamas und darunter, dass die USA sich unter dessen Regierung aus dem Nahen Osten zurückgezogen hatten. Das entstandene Vakuum wurde logischerweise von Moskau gefüllt. Für all dies hatte Obama vor acht Jahren auf Verdacht den Nobelpreis erhalten.