Autor Thomas Raab: „Vielleicht ist im Rückblick jedes Buch schlecht“
Der „Metzger“-Schriftsteller Thomas Raab über das Bedürfnis nach Anerkennung, böse Kommentare auf Facebook und die Herausforderung, der Sohn eines katholischen Priesters zu sein.
Von Miriam Hotter
Herr Raab, welche Bücher müssen Frauen lesen, um Männer verstehen zu lernen?
Thomas Raab: Ehrlich gesagt kann ich mit der Kategorisierung von Männer- und Frauenliteratur nichts anfangen. Man müsste wahrscheinlich Bücher von Männern lesen, um sie zu verstehen, und Bücher von Frauen, um Frauen zu verstehen.
Inwiefern schreiben Frauen anders als Männer?
Raab: Eine schwierige Frage. Vielleicht haben Frauen mehr Muße und Herz, sich auf die Figuren einzulassen, die Werke sind dann auch hochwertiger auf eine gewisse Weise.
Als Schüler haben Sie kaum gelesen. Ist das für einen Autor normal?
Raab: Nun ja, ich war Legastheniker. Vor der Matura war Lesen eine Qual für mich. Erst danach habe ich angefangen, Bücher zu lesen. Vor allem Spannungsliteratur.
Haben Sie auch die Bibel gelesen?
Raab: Nein, die Bibel habe ich nicht gelesen, zumindest nicht ganz. Den Koran auch nicht, obwohl ich beide Bücher zuhause habe. Und das, obwohl es für mich zum Bildungsauftrag gehört, beides zu lesen.
Wenn Sie eine Romanfigur treffen könnten, welche wäre das?
Raab: Ich würde gerne jene Romanfigur treffen, die ich erfunden habe: also Willibald Adrian Metzger. Dann könnte ich herausfinden, wer er wirklich ist.
Kennt man als Autor seine Figuren denn nicht?
Raab: Nein. Wenn ich den „Metzger“ treffen könnte, würde ich ihn zum Beispiel fragen: Habe ich etwas an dir übersehen? Benutze ich dich nur? Ich kenne auch Danjela Djurkovich nicht (Herzdame des Titelhelden, Anm.). Sollte ich noch einen „Metzger“-Roman schreiben, würde ich ihre Geschichte beleuchten.
Sie haben unlängst Ihren siebten „Metzger“-Roman herausgebracht. Ist er der beste bis jetzt?
Raab: Das beste eigene Buch gibt es nicht. Vielleicht ist im Rückblick jedes Buch schlecht. Weil man draufkommt, ein paar Runden Überarbeiten wären noch gut gewesen? Oder weil man dann am Ende sieht, dass der Plot möglicherweise erschreckend einfach ist? Die Freude aber auch das Zweifeln hören ja sowieso nie auf. Zum Glück irgendwie.
Gibt es charakterliche Eigenschaften vom „Metzger“, die auch auf Sie zutreffen?
Raab: Allerdings. In der Schule war ich eher pummelig und wurde ausgeschlossen, genau wie der „Metzger“. Was uns aber unterscheidet, ist, dass es dem „Metzger“ egal ist, was andere von ihm halten, und dafür bewundere ich ihn. Ich hingegen brauche da schon mehr als er die Bestätigung und Anerkennung.
Tun Sie sich folglich mit Kritik schwer? Ihr Roman „Still“ wurde vom Welt-Redakteur Elmar Krekeler ziemlich verrissen.
Raab: Dieser Verriss hat mich nicht so getroffen, da eine ganze Spalte in der Welt über mich geschrieben wurde – und da kann man sich nur freuen. Am Anfang tat ich mich mit Kritik aber tatsächlich schwer. Ich kann mich an eine Kritik erinnern, über die ich mich sehr aufgeregt habe. Und zwar hat eine deutsche Journalistin einmal meine Danksagung verrissen. Sie hat geschrieben, was für ein unglaublich schleimiger Mensch ich sein muss, wenn ich meinem Verlag danke. Die Frau kennt mich gar nicht und es steht ihr meiner Meinung nach nicht zu, so etwas zu behaupten.
Sind Sie deshalb auch aus Facebook ausgestiegen? Um sich nicht mit bösen Kommentaren auseinandersetzen zu müssen?
Raab: Der Austritt war eine Art Selbstschutz, weil ich gemerkt habe, wie mich Facebook schluckt. Ich habe ständig Fotos ins Internet gestellt, habe einen offenen Brief an Heinz-Christian Strache geschrieben und Artikel über die Kopftuch-Diskussion gepostet. Mit der Zeit habe ich die Welt da draußen gar nicht mehr wahrgenommen, das hat mir Angst gemacht. Der Schritt hatte auch einen überlebenstechnischen Sinn, denn ich habe gemerkt, dass ich die leeren Seiten nicht mehr füllen kann. Je näher die vernetzte Welt, desto entfernter wird die eigene.
Wie hoch ist Ihr Tagespensum?
Raab: Die Muse küsst dich nicht einfach so. Sie kommt nicht um die Ecke und sagt: „Gemma a bisserl schmusen?“ Kreativität ist Arbeit. Als Autor muss ich mich hinsetzen, den Moment überwinden, in dem mir der Hintern weh tut, und schreiben. Es ist unterschiedlich, wie viele Seiten ich pro Tag schaffe.
Viele Künstler und Autoren halten ihre unglückliche Kindheit für ihr größtes Kapital, nach dem Motto: Wer nicht gelitten hat, hat nichts zu sagen. Trifft das auch auf Sie zu?
Raab: Ich hatte tatsächlich keine leichte Kindheit. Zum einen hatte meine Familie wenig Geld und ich wurde dafür in der Schule ausgelacht. Zum anderen war mein Vater katholischer Priester, bevor er meine Mutter kennen gelernt hat. Die beiden haben zwar geheiratet, aber ich durfte niemandem erzählen, dass mein Vater vorher Priester war.
Er ist auf dem Land aufgewachsen und wenn dort jemand ins Priesteramt ging, hat das viel bedeutet. Ich bin mit der „Verteufelung der Frau“ aufgewachsen, weil meine Mutter ihn da quasi weggeholt hat. Ich habe erlebt, dass meine Mutter Zeit ihres Lebens eine Geächtete war, so lange es die Eltern von meinem Vater gab. Es kam auch dazu, dass ich mich selbst gefragt habe: Bin ich jetzt schuld am Unglück, weil ich doch das Kind der beiden war? Aber ich sagte dann zu mir: Nein, ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich am Leben bin. Ganz im Gegenteil: Ich sage Danke.