Larissas Schwester Katrin Biber

„Fürs Lachen muss ich mich ja auch nicht entschuldigen“

Am liebsten trainiert die Tirolerin in der freien Natur.
© Biber/wwww.seelensport.at

Katrin Biber hat „das Schlimmste durchgemacht, was ein Mensch durchmachen kann“: Sie musste den Tod ihrer Schwester Larissa, die auf grausame Weise umgebracht wurde, verarbeiten – und überleben. Dreieinhalb Jahre später hat sie sich ins Leben zurück gekämpft. Jetzt will sie anderen bei der Trauerarbeit helfen, vor allem mit Sport und Bewegung.

Von Renate Perktold

Innsbruck – Wenn Katrin Biber lacht, strahlt alles in ihrem Gesicht. Die rehbraunen Augen blitzen, die Hände gestikulieren beim Erzählen. Es ist ein schönes Lachen, ehrlich, unverfälscht. Und Katrin lacht viel.

Wer die gebürtige Reuttenerin nicht kennt, wird sich nur schwer vorstellen können, dass sie die dunkelsten Stunden ihres Lebens gerade erst hinter sich gebracht hat. Lachen – das musste sie erst wieder lernen.

Katrin hat nicht nur Muskeln aufgebaut - sondern auch innere Stärke. Dasselbe möchte sie ihren zukünftigen Kunden bieten.
© Biber/www.seelensport.at

Auf Katrins rechtem Oberarm ist eine Rose tätowiert. Die Inschrift „Lebe, lache, liebe“ auf Lateinisch prangert darauf. Darüber flattert ein Schmetterling. Ganz unten ist ein Name eintätowiert: Larissa. Larissa – der Seelenzwilling, die Schmetterlingsfängerin, die Tänzerin. In jedem Satz von Katrin schwingt die Erinnerung an ihre kleine Schwester mit. Die Schwester, die ihr auf so grausame und brutale Art und Weise genommen wurde. Die von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr da war. Die sie zehn Tage gesucht hatte. Bis sie dann gemeinsam mit ihrer Familie bei der Kriminalpolizei saß und sich die grausamen Details anhören musste. Über den Mord aus so niedrigen Beweggründen.

„Es dauerte, bis ich das realisiert habe. Am Anfang konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass Larissa nicht mehr da ist. Aber irgendwann kam der Moment, da begriff ich es. Und da zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Der Schmerz war kaum auszuhalten“, blickt Katrin auf die Tage, Wochen und Monate nach dem Mord zurück.

Während der Täter verurteilt wird, flüchtet die Tirolerin nach Italien. Sie weiß zunächst nicht, wie sie mit ihrem Schmerz umgehen soll. Ihr Körper leidet sichtlich unter der Trauer. Die Haare fallen aus, sie hat keine Kraft mehr, kann nicht mehr schlafen, entwickelt Allergien. Und immer wieder Panikattacken.

Katrin Bibers Lachen ist ansteckend.
© Biber/www.seelensport.at

Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, fängt Katrin mit dem Schreiben an – und mit Sport. Und sie schmeißt kurzerhand ihre Lebensplanung über den Haufen: Nach dem Abschluss ihres Geschichtsstudiums übersiedelt sie nach Wien. „Larissa und ich wollten das eigentlich gemeinsam machen. Ich hab‘s ihr ja versprochen, also bin ich gegangen“, so die 31-Jährige. Schnell reift der Gedanke, dass sie nicht als Historikerin in einem Archiv verstauben will – „ich wollte mit Menschen arbeiten, anderen helfen, ihre Trauer zu verarbeiten.“

Die zündende Idee kommt ihr beim Arbeiten in einem Fitnessstudio in der Bundeshauptstadt. Dort fällt ihr auf, dass es vielen Frauen, die dort trainieren, psychisch schlecht geht. Sie sind traurig, haben Verluste erlebt, wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. „Ich erkannte schnell, dass es ihnen nicht darum ging, ihren Bizeps oder sonstige Muskeln zu vergrößern, sondern dass sie einfach mal Raum und Zeit hatten, all ihren Ballast raus zu lassen. So hab ich begonnen meine Trainings gefühlsorientierter zu gestalten.“

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Für Katrin ist schnell klar, was sie tun will. Sie beginnt mit einer Ausbildung zur Personal-, Gesundheits- und Functional-Trainerin, parallel dazu macht sie einen Kurs zur Trauerbegleiterin. Sie liest sich intensiv ins Thema ein, spricht mit Psychologen, Psychotherapeuten, Trauerbegleitern – und entwickelt ihr Baby: Seelensport.

Katrin schöpft Kraft beim Trainieren.
© Biber/www.seelensport.at

Doch immer noch kämpft sie mit dem Verlust ihrer Schwester. Um auch ihrer eigenen Trauer genug Aufmerksamkeit zu schenken, begibt sie sich knapp zwei Jahre nach der Tat in eine Trauer-Reha. Hier lernt sie nicht nur viele neue Menschen und deren Schicksal kennen – sie wird auch in ihrem geplanten Weg bestärkt. Denn Katrin fällt auf: Ein Großteil der Patienten ist übergewichtig. Während sei selbst jeden Morgen vor den Sitzungen im Freien ihre Sportroutine durchführt, sehen die anderen verwundert zu. Eine Patientin bleibt der Tirolerin dabei besonders im Gedächtnis: „Diese Frau hatte ein Gesicht, das so unendlich traurig war. Man hat sie nie lachen oder lächeln sehen. Ich schlug ihr vor, dass sie einmal mit mir mittrainieren könnte. Das tat sie dann tatsächlich. Sie hat sich am Anfang schwer getan. Aber am Ende fing sie bei einem Lied wirklich an, wie wild zu tanzen. Und zu lachen.“

Ein bisschen Stolz schwingt in Katrins Stimme mit, wenn sie von der Begegnung erzählt. Sie hat das Leben dieser Frau verändert – wenn auch nur ein bisschen. Doch dadurch wird ihr klar: Das will sie machen. Sie will anderen mit Sport aus dem tiefen Loch der Trauer ziehen.

Mit der Idee im Gepäck kommt sie zurück nach Tirol, erstellt ein Unternehmensmodell, findet einen kleinen Raum, in dem die Trainings stattfinden können. In wenigen Monaten will sie loslegen. „In unserer Gesellschaft muss man immer nur funktionieren. Dass man nach einem Trauerfall auch einfach mal sein kann, wie man ist, seine Gefühle auslebt, das ist schwer. Ich finde das aber unheimlich wichtig. Mit Sport kann man auch lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen.“

Das Programm testet sie nicht zuletzt an ihrer Familie, motiviert die beiden Schwestern, aber auch ihre Eltern zur Bewegung. Sie hat ein bisschen Larissas Part übernommen: „Früher war ich selbst nicht so motiviert. Da hat mich meine Schwester immer mitgerissen. Heute liebe ich es, in der Natur zu sein und meinen Körper zu spüren. Dabei baue ich nicht nur physische Kraft auf, sondern werde auch psychisch stärker, selbstbewusster“, ist sich die Tirolerin sicher.

Ihr Trainingskonzept beruht vor allem auf Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, die einen Trauerzustand symbolisieren sollen, mit dem der Betroffene umzugehen lernt. So stehen Drückübungen fürs Wegdrücken bestimmter Gefühle, Zugübungen wiederum fürs Heranziehen positiver Gedanken. Sie glaubt an das Projekt, immerhin gibt es viele Menschen, die nicht wissen, wie sie mit ihrem Verlust umgehen sollen. „Ich möchte den Leuten vor allem zeigen, dass es okay ist, wenn man trauert. Fürs Lachen muss ich mich ja auch nicht entschuldigen.“

Seelensport und ein Andenken an Larissa

Schon bald soll das Projekt „Seelensport“ an den Start gehen. Über die Möglichkeiten zur sportlichen Trauerbegleitung informiert Katrin Biber auf ihrer Homepage www.seelensport.at. Anlässlich des Geburtstages ihrer Schwester Larissa ruft die Tirolerin am 20. Juni zum Posten von Videos oder Fotos auf: „Ich überlege mir jedes Jahr etwas besonderes zu ihrem Geburtstag. Heuer wäre Larissa 25 geworden. Also wäre es schön, wenn die Leute 25 Kniebeugen machen würden und das dann mit den Hashtags #trauerinbewegung #bewegtetrauer #gegengewaltanfrauen #seelensport auf meiner Seite posten.“ Die Kniebeuge soll symbolisieren, dass man immer wieder aufsteht, wenn man nach unten gedrückt wird. Trauer ist außerdem kein statischer Zustand, sie verläuft in Wellen und ist immer in Bewegung. „Außerdem ist es mir wichtig, auf das Thema Gewalt gegen Frauen hinzuweisen. Wenn wir damit nur eine Frau erreichen, die sich helfen lässt, ist schon viel getan.“

Einen Plan B hat sie nicht auf ihrer Agenda, falls das Projekt nichts wird: Nicht nur, weil ihre Familie und ihr Freund voll hinter ihr stehen, sondern auch, weil sie sich auch von ihrer liebsten Larissa motivieren lässt: „Ich habe das Schlimmste im Leben überlebt. Seither hab ich aufgehört, mir Gedanken zu machen. Wenn es so weit kommen sollte, dann werde ich mir schon eine Lösung überlegen.“

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