Tiroler Sozialpartner im Clinch um Arbeitszeiten
Bodenseer legt bei Kritik an Mindestlohn-Abkommen nach. AK-Präsident Zangerl wirft WK-Chef vor, mit „alternativen Fakten“ zu arbeiten.
Innsbruck –Erst im Mai hatten die Tiroler Sozialpartner verkündet, künftig gemeinsam an einem Strang für den Standort ziehen zu wollen. Jetzt fliegen angesichts der Wirtschaftsforderung nach flexibleren Arbeitszeiten die verbalen Fetzen zwischen Wirtschafts- und Arbeitnehmervertretern.
Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer legte gestern bei seiner Kritik an der Einigung auf den 1500-Euro-Mindestlohn nach. Er verstehe zwar das Ziel von 1500 Euro Bruttolohn für alle ab 2020. „Ich verstehe aber nicht, warum hier zu 100 Prozent zugestimmt wurde, während bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten nichts geht“, sagte er bei einer Pressekonferenz in Innsbruck. Es gehe nicht um einen generellen 12-Stunden-Arbeitstag, sondern darum, dann zu arbeiten, wenn Arbeit da sei. Am Tag zuvor hatte er gemeinsam mit dem neuen WK-Vizepräsidenten Manfred Pletzer kritisiert, dass die einseitige Einigung auf den Mindestlohn der Sozialpartnerschaft kein gutes Zeugnis ausstelle. Wenn die Sozialpartner nicht fähig seien, hier etwas zustande zu bringen, dann müsse die Politik entscheiden, erklärten die Kammerchefs – die TT berichtete. Die Sozialpartner müssten „alte Zöpfe“ abschneiden, so Bodenseer.
Ein wortgewaltiger Konter kam gestern aus der Arbeiterkammer Tirol: Man verwehre sich gegen „Halbwahrheiten und Polemik beim Thema Arbeitszeit“, hieß es in einer Aussendung. Bodenseers „Rundumschlag“ sei keine konstruktive Hilfe. Die Arbeitnehmer seien „kein Spielball für Tauschgeschäfte“. Beim Ruf der Betriebe nach Flexibilisierung gehe es ausschließlich um die Reduktion bzw. Abschaffung von Überstundenzuschlägen, glaubt AK-Präsident Erwin Zangerl. „Dass jede zusätzliche Stunde als Überstunde abgegolten wird, wie Bodenseer behauptet, kann höchstens als ‚alternativer Fakt‘ gedeutet werden“, meinte Zangerl und verwies darauf, dass in Tirol pro Jahr mehr als 22 Mio. Überstunden geleistet würden, wovon fast 5 Mio. Stunden unbezahlt seien.
Auch die Gewerkschaft klinkte sich hier ein. Tirols neuer ÖGB-Chef Philip Wohlgemuth schoss sich auf die Forderung der Wirtschaftskammerchefs ein, wonach die Politik eine Entscheidung über flexible Arbeitszeiten treffen solle. Er lasse sich die Sozialpartnerschaft nicht schlechtreden, teilte Wohlgemuth mit. Die Rechte der Arbeitnehmer dürften „nicht zum Spielball der Tagespolitik werden“. Zudem sei mit vielen Kollektivverträgen das Arbeiten bis zu 12 Stunden täglich bereits möglich – nur eben mit den vereinbarten Regeln und Zuschlägen. (wer)