OSZE-Mission: Lage in Ostukraine „kann jederzeit explodieren“

Wien (APA) - Der Vizechef der OSZE-Mission in der Ukraine (SMM), Alexander Hug, hat vor einer militärischen Eskalation zwischen der Armee un...

Wien (APA) - Der Vizechef der OSZE-Mission in der Ukraine (SMM), Alexander Hug, hat vor einer militärischen Eskalation zwischen der Armee und den bewaffneten Formationen der sogenannten „Volksrepubliken“ gewarnt. „Das kann jederzeit explodieren, das ist ein Pulverfass“, sagte Hug im APA-Gespräch in Wien. Selbst ruhige Phasen sieht er mit Sorge. Da werde nämlich „aufmunitioniert, rotiert und trainiert“.

Der Grund für die explosive Lage sei die große Nähe zwischen den Positionen der beiden Seiten sowie das Vorhandensein von schweren Waffen in Einsatzdistanz. Die Entfernung zwischen ukrainischen Soldaten und den bewaffneten Formationen betrage mitunter nur wenige 100 Meter statt der notwendigen zwei bis drei Kilometer. In der umkämpften Stadt Awdijiwka bei Donezk „stehen sie sich auf den Füßen“, sagte Hug. Dort versuchen die OSZE-Beobachter, mit Patrouillen zwischen den Stellungen für Ruhe zu sorgen. Das habe eine „beschränkte abschreckende Wirkung, aber nicht immer und ist sicherlich nicht nachhaltig. Auch wenn wir dort sind, wird geschossen.“

Entgegen den Minsker Vereinbarungen sind Armee und die sogenannten „Volksrepubliken“ auch säumig beim Abzug schwerer Waffen wie Mörser, Panzer, Artillerie oder Mehrfachraketenwerfer, die eigentlich mindestens 15 Kilometer von der Kontaktlinie weggebracht hätten werden müssen. „Seit Anfang des Jahres haben wir zusammengezählt 2.500 schwere Waffen an Orten gesehen, wo diese gemäß den Vereinbarungen nicht sein sollten“, sagte Hug. „Das heißt, dass ein Ausbruch schwerer Gefechte zu jedem Zeitpunkt an diesen Orten immer möglich ist. Unsere Berichte, die wir täglich veröffentlichen, sprechen eine klare Sprache.“

Die Gefahr solcher Auseinandersetzungen steigt demnach gerade auch in Zeiten, in denen es - wie derzeit - relativ ruhig ist. Statt mehr als 1.000 Waffenstillstandsverletzungen pro Tag würden aktuell „nur“ dreistellige Werte protokolliert. Das sei aber nicht unbedingt ein gutes Zeichen, weil sich die beiden Seiten neu formieren. „Das heißt, die Einsatzbereitschaft, die Feuerbereitschaft steigt, auch wenn es vordergründig ruhig aussieht.“

Solange man das Thema Truppenentflechtung und Abzug schwerer Waffen nicht angehe, „wird dieser Konflikt kein Ende nehmen“, sagte der Schweizer Armeeoffizier. „Aber wenn diese zwei Maßnahmen umgesetzt werden, dann können die Seiten Stabilität schaffen und die Anzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung reduzieren“, so Hug mit Blick auf die heuer massiv gestiegenen Zahlen ziviler Opfer. 54 Menschen wurden bis 3. Juli getötet, während es im gleichen Zeitraum des Vorjahres 34 Tote waren. „Die große Zahl der verletzten und toten Zivilisten kommen durch den Einsatz von schweren Waffen, in denen sich die Seiten zu nahe stehen, zu Schaden.“

Hug räumte ein, dass der Aktionsradius der OSZE-Beobachter im Konfliktgebiet eingeschränkt ist. Nach dem Tod eines Patrouillenmitglieds durch eine Explosion im April seien die Patrouillen nur noch auf Asphalt und Beton unterwegs. „Das führt dazu, dass wir nicht mehr die gleiche Dichte an Patrouillen haben, aber wir sind trotzdem an allen Brennpunkten noch vor Ort“, sagte der SMM-Vizechef. „Schon vor dem 23. April (Tag der Explosion, Anm.) war unsere Bewegung eingeschränkt. Wir haben nie das Ganze gesehen, immer nur die Spitze des Eisbergs.“

Klar ist für Hug, dass es sich bei dem tödlichen Zwischenfall nicht um einen Unfall gehandelt hat. „Ein Unfall ist, wenn man gegen einen Baum fährt“, sagte er. Die Explosion sei durch eine „indiskriminierende Waffe“ ausgelöst worden. In Medienberichten war von einer Minenexplosion die Rede, doch wird die genaue Ursache noch untersucht. Die OSZE-Mission erwarte sich, dass nicht nur die Ursache eruiert werde, sondern auch „diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die verantwortlich waren“.

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Zu Berichten über Schutzgeldforderungen an die OSZE-Beobachter in Donezk sagte Hug: „Von denjenigen, die in effektiver Kontrolle (im Rebellengebiet, Anm.) sind, erwarten wir, dass uns Schutz gewährt wird.“ Zwei am Montag vergangener Woche vom OSZE-Büro in Donezk abgezogene Sicherheitsleute seien nach einer entsprechenden Intervention am Sonntag „wieder zurückgestellt“ worden. „Wir haben keinen Betrag gezahlt“, betonte er. Medienberichten zufolge waren 3.000 Euro an Schutzgeld gefordert worden.

Die OSZE und ihre 57 Mitgliedsstaaten stehen nach Einschätzung von Hug auch trotz der sich zuspitzenden Lage weiter hinter der Mission, die mit über 1.000 Mitarbeitern, darunter fast 700 internationale Beobachter, in der Ukraine präsent ist. So gebe es keine Signale, dass Staaten einen Abzug ihrer Beobachter erwägen. Die SMM passe ihre Sicherheitsmaßnahmen „stündlich“ der jeweiligen Lage an, betonte Hug. Auch das derzeitige Personalvakuum in der OSZE - neben dem Generalsekretär ist die Führung der drei weiteren OSZE-Institutionen vakant - beeinträchtigt die Mission aktuell nicht. Sekretariat, Vorsitz und Ständiger Rat unterstützen die SMM. „Wir sind überzeugt, dass auch mit den noch ausstehenden Personalentscheidungen diese Unterstützung weitergehen wird“, so Hug.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

~ WEB http://www.osce.org/ ~ APA053 2017-07-07/08:01