Bachmann-Preis: Schaurige Himbeeren und ein Mann, der vom Himmel fiel

Klagenfurt (APA) - Ein „Geschmacksprofi, der sich keine Beeren aufbinden lassen will“, und ein „Mann, der vom Himmel fiel“, waren die Protag...

Klagenfurt (APA) - Ein „Geschmacksprofi, der sich keine Beeren aufbinden lassen will“, und ein „Mann, der vom Himmel fiel“, waren die Protagonisten der ersten Texte am letzten Lesetag der 41. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Der Vormittag brachte unterhaltsame Jury-Kontroversen und mit Eckhart Nickel einen Autor, der sich Chancen ausrechnen kann, morgen zumindest auf der Shortlist zu landen.

Der 1966 geborene Frankfurter Buchhändler, Germanist (Promotion über das Spätwerk von Thomas Bernhard), Journalist und Autor Eckhart Nickel, selbst als Juror u.a. für den Clemens-Brentano-Preis tätig, eröffnete am Samstag den letzten Lesetag. „Hysteria“ heißt sein Text, der eine Idylle brüchig werden lässt. Seltsame Himbeeren eines Marktstands führen Protagonist Bergheim zur Kooperative „Sommerfrische“, in der ihn nicht nur die landwirtschaftlichen Erzeugnisse irritieren. Eine raffinierte, zivilisationskritische Schauergeschichte zwischen Biodynamik und Gentechnik entfaltet sich, in der alles Natürliche auf unheimliche Weise leicht verschoben zu sein scheint, möglicherweise Resultat der Umtriebe der Gärtnerin Asche und des „Dermoplastikers“ Dr. Haupt, denen er in der Anlage begegnet.

Die Jury zeigte sich gespalten. Kontrahenten in der erstmals etwas hitzigeren, doch hoch unterhaltsamen Diskussion waren erneut Klaus Kastberger, der sich „sehr überzeugt“ zeigte („Ich persönlich mag diese Käferdichter!“; „Er vermittelt auf sanfte Art, dass etwas nicht stimmt.“) und Meike Feßmann, die „eine Poetik forcierter Dünnhäutigkeit“ ortete: Es handle sich um einen antiquierten Dekadenztext, der deutliche Referenzen an einen Sprachkritik-Klassiker, nämlich Hugo von Hofmannsthals „Brief des Lord Chandos“. Stefan Gmünder hatte „Respekt vor diesem Text, glaube aber auch, dass er symbolisch überladen und überfrachtet ist“, Sandra Kegel freute sich über die Geschichte „eines Geschmacksprofis, der sich keine Beeren aufbinden lassen will“: „Ich finde das alles sehr gut gemacht und teilweise sehr lustig“. Hildegard Keller sah eine „etwas überkandidelte, aber sehr präzise Sprache“, Hubert Winkels „ein hyperrealistisches Verfahren“, das aber immer wieder geändert werde: „Es ist zu viel!“ Michael Wiederstein, der Nickel eingeladen hatte, fand den Text „fantastisch“.

Die 1988 in Basel geborene und heute in Zürich lebende Schweizerin Gianna Molinari las auf Einladung von Hildegard Keller. Ihr Text „Loses Mappe“, in dem Fotos und Zeitungsausschnitte eingearbeitet sind, beschäftigt sich mit dem realen Fall eines afrikanischen Flüchtlings, der im Mai 2010 im Fahrwerkschacht eines Flugzeugs erfror und beim Ausfahren des Fahrwerks in der Anflugschneise zum Flughafen Zürich auf die Erde stürzte. Protagonist Lose, ein Jäger und Angestellter des Wachdienstes eines demnächst zusperrenden Kartonherstellers, sah den Sturz von seinem Hochsitz und sammelte in der Folge Ausschnitte, Fotos und Untersuchungsergebnisse zur Identität des Mannes, „der vom Himmel fiel“.

Unentschieden zeigte sich die Jury. Während sich etwa Hildegard Keller („Der Text verschränkt wunderbar das Globale und das Lokale.“) und Stefan Gmünder („gut gemacht, äußerst präzise gearbeitet“) begeistert davon zeigten, wie hier ein aktuelles Thema literarisch verarbeitet wurde, sah Klaus Kastberger zwischen Journalismus und Literatur, „einen Mittelweg, der mich nicht ganz überzeugt hat“. Hubert Winkels fand den Text „etwas langweilig in seiner Wiederholungsstruktur“, und Meike Feßmann entdeckte „viele Sachen, die mir sehr gefallen haben, aber manchmal ist mir der Text zu deutlich“.

Nach einer kurzen Mittagspause beenden die Südtirolerin Maxi Obexer sowie der Schweizer Urs Mannhart den Lesereigen im ORF-Theater in Klagenfurt. Der Ingeborg-Bachmann-Preis und die weiteren Preise werden morgen, Sonntag, ab 11 Uhr vergeben.

(S E R V I C E - http://bachmannpreis.orf.at/)

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