Bericht: KZ-Kommandant Stangl lebte jahrelang in Brasilien
Altmünster/Sao Paulo/Düsseldorf (APA) - Der oberösterreichische KZ-Kommandant von Sobibor und Treblinka, Franz Stangl, soll jahrelang im Wis...
Altmünster/Sao Paulo/Düsseldorf (APA) - Der oberösterreichische KZ-Kommandant von Sobibor und Treblinka, Franz Stangl, soll jahrelang im Wissen der österreichischen Behörden in Brasilien gelebt haben - unter seinem richtigen Namen, als Mitarbeiter von VW. Festgenommen wurde er trotzdem nicht. Erst der Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal führte in den 1960er Jahren zur Verhaftung Stangls.
Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hat gemeinsam mit dem NDR und dem SWR die Geschichte aufgedeckt, berichtete die ZiB 2 am Donnerstagabend. In einem Interview mit dem ORF sagte Leo Gürtler vom Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Forschung, die österreichische Polizei und das Innenministerium hätten bereits frühzeitig Hinweise erhalten, dass sich Stangl vermutlich nach Südamerika abgesetzt habe.
Stangl erhielt im Februar 1967 sein letztes Gehalt bei der Firma Volkswagen do Brasil. Es entsprach etwa 430 US-Dollar. Das geht aus unternehmensinternen Akten hervor, die NDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten. Stangl arbeitete demnach acht Jahre lang bei der brasilianischen Tochter des Wolfsburger Autokonzerns „in der Betriebsinstandhaltung“. Bis zum 28. Februar 1967, dem Tag, als er in São Paulo verhaftet wurde. Als weltweit gesuchter Kriegsverbrecher.
Der SS-Hauptsturmführer Franz Paul Stangl, geboren 1908 in Altmünster in Oberösterreich, war laut seinem späteren Gerichtsurteil am nationalsozialistischen Euthanasieprogramm „T4“ beteiligt. Er erhielt das „Kriegsverdienstkreuz I. und II. Klasse mit Schwertern“ und wurde 1942 befördert. Zum Lagerkommandanten der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka. Im Dezember 1970 verurteilte ihn das Düsseldorfer Landgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen „gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Personen“. Er starb sechs Monate später an einem Herzinfarkt.
Unmittelbar nach Kriegsende hatte Stangl schon einmal in Haft gesessen, er konnte aber flüchten. Über Syrien wanderte er 1951 mit seiner Familie nach Brasilien aus. Dort lebte er 16 Jahre lang unbehelligt unter seinem richtigen Namen, obwohl er international zur Fahndung ausgeschrieben war. Die Stangls bauten sich ein Haus in einem Vorort von Sao Paulo. Dort wurde 1959 auch die erste Fabrikhalle der brasilianischen VW-Tochter eingeweiht. Franz Stangl bekam sofort eine Stelle.
Die Recherchen des sogenannten Nazi-Jägers Simon Wiesenthal leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Verhaftung Stangls. Im März 1967 schrieb er einen Brief an den nordrhein-westfälischen Justizminister Josef Neuberger, in dem er mitteilte, „dass das Volkswagenwerk in Sao Paulo Stangl seinen Anwalt gegeben hat.“ Die deutschen Firmen befürchteten demnach, dass die Causa Stangl einen Abzug von deutschen Fachkräften aus Brasilien zur Folge haben könnte. Die jüdische Gemeinde in Wien forderte eine Intervention des deutschen Botschafters in dieser Sache.
Nach Angaben Gürtlers konnte Stangl festgenommen werden, indem man ihm eine Falle stellte. Er wurde bei VW angerufen und ihm mitgeteilt, dass seine Tochter nach einem Unfall im Spital liege. Dort erfolgte dann der Zugriff. Im Juni 1967 wurde Stangl an Deutschland ausgeliefert. 1971 starb er in einem Düsseldorfer Gefängnis im Alter von 63 Jahren.