Tibet ganz nah
Im Zillertal versteckt sich eine Alm, die nicht nur durch ihre Lage an einem Stausee besticht: Auf der Hohenau Alm fühlt man sich wie in Tibet – Franz Hanser sei Dank.
Von Irene Rapp
Brandberg –Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden geschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet, ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden. Dieser Spruch soll aus dem Munde von Dalai Lama stammen, dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter und Friedensnobelpreisträger. Auf dem Weg zur Hohenau Alm (1867 m) im Zillergrund, einem Seitental des Zillertals, kann man diesen Spruch lesen – angebracht auf einer Tafel auf einem großen Stein am Wegrand.
Noch interessanter wird die Wanderung, wenn man diesen Weg entlang des Stausees Zillergründl bis zum Ende beschreitet: Inmitten der Tiroler Alpen finden sich nämlich bunte, buddhistische Gebetsfahnen und schließlich marschiert man an einem Schriftzug aus Holz vorbei – „Klein Tibet“ ist zu lesen.
Des Rätsels Lösung trägt den Namen Franz Hanser: Der 62-Jährige aus Uderns war zweimal in Nepal und einmal in Tibet. Und dann machte er irgendwann einmal eine Wanderung von der Plauener Hütte (2364 m) oberhalb des Stausees Zillergründl. „Da sah er diese Alm und fühlte sich wie nach Tibet versetzt“, erzählt seine Ehefrau Anita Hanser.
Den Wanderern in dieser hochalpinen Landschaft wird es wohl ähnlich ergehen, wenn plötzlich über einem Gebetsfahnen hängen. Die Wanderung nach „Klein Tibet“ ist jedenfalls sehr gemütlich, allerdings kann man das Ganze auch sportlicher – z.B. mit dem Fahrrad – angehen. Die bequemste Variante führt von der Staumauerkrone weg – ab hier ist die Tour mit größeren Kindern gut machbar bzw. sogar mit einem geländegängigen Kinderwagen.
So kommt man hin: Von Mayrhofen aus geht es mit dem Pkw oder den Bussen der Zillertaler Verkehrsbetriebe (www.zillertalbahn.at) auf der mautpflichtigen Straße (Pkw: 7,60 Euro) hinein in den Zillergrund. Dieses Seitental des Zillertals ist rund 20 Kilometer lang, am Ende wird es vom Stausee Zillergründl abgeschlossen.
Rund um die Bärenbadalm (Gastbetrieb) bzw. den ehemaligen Gasthof Bärenbad (hier kein Gastbetrieb) ist die Fahrt mit dem eigenen Auto dann zu Ende, ausreichend Parkplätze sind vorhanden. Von hier aus ist schon gut die hohe Staumauer erkennbar.
Ein Wegweiser „Staumauer“ gibt die Richtung vor, über eine Wiese in einen Wald und über ein gut angelegtes Steiglein hinauf. Steil zieht sich dieses nach oben, einmal wird die Fahrstraße überquert. Bis ganz hinauf zum Stausee dürfen allerdings nur die Busse der Zillertaler Verkehrsbetriebe und Berechtigte fahren, man könnte sich also auch noch mit dem Bus den Weg verkürzen.
Ansonsten immer der Beschilderung nach, bis man schließlich am Ende der Straße angelangt ist und gleich zweimal staunt: einmal wegen des Stausees, der sich rund drei Kilometer lang bis an das Ende des Tales zieht. Zum anderen wegen eines Gebäudes, das über einem wie an den Fels geklebt zu sein scheint – dabei handelt es sich um die Einkehr zum Adlerblick, ein Gasthaus. Von hier aus könnte man zur Kapelle zum Heiligen Valentin gehen (rund eine Stunde Gehzeit), doch wir gehen entlang des Sees weiter.
Nach wenigen Metern hinein in einen Tunnel, in welchem es auf einen Schlag kalt wird. Schwache Beleuchtung an den Wänden erhellt ein wenig den Weg, nach wenigen Minuten ist man wieder draußen und wird fasziniert sein von der Szenerie: Links und rechts ziehen sich steile Hänge hinauf, von allen Seiten strömt Wasser herab.
Entlang des Sees geht es nun auf einem breiten Weg hinein in das Tal. Vor zwei Wochen waren wir hier unterwegs und bewunderten auch noch die Blumen am Wegrand – u.a. den Türkenbund aus der Familie der Lilien.
Entlang der Strecke finden sich noch andere Weisheiten und Bänke, die zu einer Rast einladen. So geht es meist eben dahin, vorbei an der Abzweigung hinauf zur Plauener Hütte und schließlich hat man nach rund 1,5 Stunden „Klein Tibet“ erreicht. Über Stufen – vorbei an Gebetsmühlen – geht es hinauf zur urigen Hohenau Alm. In dem kleinen Steingebäude finden sich zwei Räume, eine Küche sowie eine Stube. Gäste erhalten hier ausschließlich kalte Gerichte, mehr ist in der winzigen Küche auch gar nicht möglich bzw. machbar.
„Es ist ein besonderes Platzl“, sagt Anita Hanser, dem kann nur beigepflichtet werden. Sogar der Besuch der Toilette ist ein Erlebnis: Dazu muss man einige Meter noch weiter Richtung Talschluss und Heiliggeistjöchl gehen, dann jedoch bietet das Holzhäusl, wie man es aus alten Fotos kennt, bei offener Tür grandiose Ausblicke. Beim Rückweg heißt es Händewaschen: an einer Wasserstelle, wo es sogar kleine Frotteehandtücher zum Abtrocknen gibt. „Ein bisschen Luxus muss sein“, lacht Anita Hanser. Die Alm ist übrigens bis Mitte Oktober geöffnet (je nach Wetter). Und vielleicht schaut sie dann noch tibetischer aus: „Gäste bringen uns immer wieder einmal Sachen aus Tibet und Nepal für ,Klein-Tibet‘ mit“, sagt Hanser.