Salzburger Festspiele: „Lear“ zwischen Blumenwiese und Totenacker
Salzburg (APA) - Aribert Reimanns „Lear“ ist eine Oper, die den Nihilismus und das absurde Theater in sich trägt - und Simon Stone hat diese...
Salzburg (APA) - Aribert Reimanns „Lear“ ist eine Oper, die den Nihilismus und das absurde Theater in sich trägt - und Simon Stone hat diese Vorlage am Sonntagabend in der Salzburger Felsenreitschule volée genommen. Seine Interpretation beschloss den Premierenreigen der heurigen Festspiele in atmosphärisch düsterer Manier. Ein blutiges, fokussiertes Theater des Untergangs, das überwiegend Bravorufe evozierte.
Der Salzburg-Debütant Stone entwirft ein Psychogramm des Machtverlusts und der Auflösung menschlicher Bindungen, dessen düsterer Grundausrichtung er mit starken Bildern und gezielt gesetzter Satire nur noch mehr Galle hinzufügt. Am Beginn steht eine Blumenwiese, die es mit dem floralen Schmuck eines Neujahrskonzerts aufnehmen kann. Am Ende wird sich diese in einen Totenacker verwandelt haben. Und letztlich nur mehr ein blutiges Nichts sein.
Gerahmt ist die Spielfläche von Zuschauerrängen - mit vermeintlichem Publikum, wie sich im Laufe des Abends herausstellen wird. Zum einen wird der Salzburger Festspiel-Gesellschaft so der Spiegel vorgehalten und das Scheitern und Sterben der Mächtigen in eben jenen Kreisen verortet. Zugleich lässt Stone nach der Pause einzelne Statisten-Zuschauer sukzessive von Sicherheitskräften entfernen und in Blutlachen tauchen. Kurz vor dem Schlussbild wird dann die gesamte Bühnen-Zuschauerriege geräumt und hinterlässt nur mehr leere Ränge - ein starkes Bild, das die Weite des Raumes und die Ausweglosigkeit der Situation umso eindrücklicher vor Augen führt.
In Reimanns Werk gibt es schließlich keine Rettung, keinen Ausweg und kein anderes Ziel als den Tod. Und diesem Weg folgt Stone nicht naturalistisch, sondern in abstrakten Tableaus, die vom blumigen Auftakt geradewegs in einen von Blut und Nacktheit skizzierten, geleerten Bühnenraum führen. Wie Bilder eines Fiebertraums fügen sich da der dem Wahnsinn nahe, verstoßene Sohn Edgar im Mickey-Mouse-Kostüm oder die tote Cordelia als weiße Geistererscheinung in dieses groteske Theater ein.
In diesem Malstrom des Niedergangs dominiert vor allem der kanadische Salzburg-Stammgast Gerald Finley mit seinem nicht ins Wanken zu bringenden Bariton in der Titelpartie. Zugleich gelingt ihm das Porträt eines Herrschers, der von allem und allen verlassen auf sein Dasein als Mensch reduziert ist. Als hochdramatische Furien bewältigen Evelyn Herlitzius und Gun-Brit Barkmin ihre Partien der erbenden Königstöchter, die ihren Vater verstoßen, während Anna Prohaska mit schneidender Kälte und verschliffener Intonation so stimmig und passend wie lange nicht die dritte, gutherzige Tochter Cordelia gibt.
Unterstützt wird die geschlossen gute Leistung auch in den anderen Partien nicht zuletzt aus dem Graben heraus, regiert hier mit Franz Welser-Möst doch jemand, der den Fokus auf den Sängern, konkret der Textverständlichkeit halten kann. Der 57-Jährige weiß die Wiener Philharmoniker stets in den richtigen Momenten zurückzunehmen und den Akteuren auf der Bühne das Primat zu überlassen. Dies bedeutet indes nicht, dass die inhärenten Kontraste der Partitur zwischen physischer Musik von großer Innerlichkeit und vehementen Ausbrüchen nicht ausgekostet würden. Einen besonderen Klangeffekt stellt die dem kleinen Orchestergraben geschuldete Notlösung dar, einen Teil des Schlagwerks auf die Seitenempore zu verbannen, was dem Klangbild in der akustisch nicht einfachen Felsenreitschule eine größere Dreidimensionalität verleiht.
Und so schreibt sich auch in Salzburg die Erfolgsgeschichte des „Lear“ fort, der seit seiner Uraufführung in München im Jahr 1978 zu den meistgespielten Opernwerken des 20. Jahrhunderts zählt und Komponist Aribert Reimann in die erste Liga der Tonsetzer katapultierte. Der mittlerweile 81-jährige Berliner gab im Schlussapplaus den Salzburger Beteiligten seinen Sanktus - mit Umarmungen auf offener Bühne für Welser-Möst, Finley und nicht zuletzt auch für Regisseur Stone.
(S E R V I C E - Aribert Reimann: „Lear“ bei den Salzburger Festspielen, Felsenreitschule, Hofstallgasse 1, 5020 Salzburg. Musikalische Leitung der Wiener Philharmoniker: Franz Welser-Möst, Regie: Simon Stone, Bühne: Bob Cousins, Kostüme: Mel Page. Mit Gerald Finley - König Lear, Evelyn Herlitzius - Goneril, Gun-Brit Barkmin - Regan, Anna Prohaska - Cordelia, Lauri Vasar - Graf von Gloster, Kai Wessel - Edgar, Charles Workman - Edmund, Michael Maertens - Narr, Matthias Klink - Graf von Kent, Derek Welton - Herzog von Albany, Michael Colvin - Herzog von Cornwall, Tilmann Rönnebeck - König von Frankreich, Franz Gruber - Bedienter, Volker Wahl - Ritter. Weitere Aufführungen am 23., 26. und 29. August. Karten: 0662/8045-500. www.salzburgerfestspiele.at)