Stichwort - Staaten entscheiden selbst über Interpol-Haftbefehl

Berlin/Ankara/Madrid (APA/Reuters) - Ein Haftbefehl über die internationale Polizeibehörde Interpol, wie er auf Betreiben der Türkei gegen d...

Berlin/Ankara/Madrid (APA/Reuters) - Ein Haftbefehl über die internationale Polizeibehörde Interpol, wie er auf Betreiben der Türkei gegen den deutschen Schriftsteller Dogan Akhanli besteht, führt nicht automatisch zu Verhaftungen oder gar einer Auslieferung. Jeder Staat entscheide eigenständig, ob er das Ersuchen umsetze und eine Person national zur Fahndung ausschreibe, betonen Vertreter der Bundesregierung am Montag in Berlin.

In Deutschland liegt die federführende Entscheidung über einen Auslieferungshaftbefehl beim Bundeskriminalamt (BKA). In bedeutenden Fällen wird das Bundesamt für Justiz einbezogen. Aber auch das Auswärtige Amt und das Justizministerium werden eingebunden. Nach dem Europäischen Rechtshilfeübereinkommen ist eine Auslieferung etwa nicht möglich, wenn eine politische Verfolgung im Raum steht, wie eine Sprecherin des Justizministeriums erläutert. In solchen Fällen findet in Deutschland keine Fahndung statt.

Sowieso können aus der Bundesrepublik deutsche Staatsbürger nicht an die Türkei ausgeliefert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen und mit einem europäischen Haftbefehl ist dies allenfalls an EU-Staaten oder an den Internationalen Gerichtshof möglich.

Akhanli, der nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wurde am Wochenende im Spanien-Urlaub auf Betreiben der Türkei festgenommen, später unter Auflagen wieder freigelassen. In seinen Werken setzt er sich unter anderem für das Gedenken und die Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich ein. Akhanli muss bis zum Abschluss des Verfahrens in Spanien bleiben.

Gegen den in Köln lebenden Autoren gibt es aus dem Jahr 2013 ein altes Verfahren der Türkei, in dem Deutschland aber keinen Anlass sah, den Autoren zur Fahndung auszuschreiben. Die deutschen Behörden tappen im Dunkeln, warum es gerade jetzt zur Festnahme in Granada kam. Dazu hätten vorher keine Erkenntnisse vorgelegen, betont die Justizressort-Sprecherin. Eine neue Ausschreibung (eine sogenannte „red notice“) von Interpol, die allen 190 Mitgliedsstaaten zugestellt würde, habe es nicht gegeben. Es könne aber sein, dass sich Interpol Ankara direkt an Interpol in Madrid gewendet habe.

Über Interpol kann jedes Land einen Haftbefehl ausschreiben und laut BKA auch entscheiden, ob er bestimmte Regionen, Länder oder alle Staaten betreffen soll. Die internationale Polizeiorganisation versteht sich allerdings als politisch neutral. Artikel 3 seiner Statuten verbietet jegliche Betätigung oder Mitwirkung etwa in Fragen oder Angelegenheiten mit einem politischen Charakter. Die Zusammenarbeit ist faktisch auf Delikte des gemeinen Strafrechts beschränkt - also auf Taten, die in allen Mitgliedsstaaten zu Strafverfolgung führen würden. Hat die Behörde den Eindruck, dass durch einen Haftbefehl gegen Regimegegner vorgegangen werden soll, kann sie einen Hinweis verschicken - einen sogenannten „Artikel-3-Hinweis“. Nach Angaben des Sprechers des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, hat es eine entsprechende Notiz im Fall Akhanli jedoch nicht gegeben. Vielleicht liege darin der Grund, dass die Spanier den Haftbefehl umgesetzt hätten. Die Vorwürfe von türkischer Seite seien so, dass dem Schriftsteller Schwerstverbrechen zur Last gelegt würden, darunter Raubüberfall und Mord.

Schon gibt es die ersten Forderungen in Richtung Interpol. „Ich bin der Auffassung, dass Interpol noch intensiver als bisher darauf aufpassen muss, dass es von den Strafverfolgungsbehörden nicht missbraucht wird“, sagt der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer, zu Reuters. Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth moniert im SWR, das Kontrollsystem von Interpol versage doch völlig, wenn die Behörde jetzt „zum Handlanger von Despoten“ gemacht werden könne.

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Konsequenzen werden auch für die Türkei gefordert. Unions-Fraktionsvize Stephan Harbarth sagte, es müsse „über einen Ausschluss der Türkei aus dem Interpol-Verfahren der internationalen Ausschreibungen“ gesprochen werden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, es stehe der Verdacht im Raum, dass die türkische Staatsspitze Interpol benutzen wolle, um politischen Kritikern habhaft zu werden. Darüber müsse mit anderen Interpol-Partnern gesprochen werden.

Die deutschen Behörden versichern, dass sie bei türkischen Anfragen sehr genau hinschauen. „Türkische Auslieferungsersuchen über Interpol werden mit größter Vorsicht und Sorgfalt behandelt“, unterstreicht eine Sprecherin des Innenministeriums. Und vom Justizressort heißt es, seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli vergangenen Jahres gelte eine „vertiefte Auslieferungsprüfung“.