Für Hälfte der Tschechen Teilung der Tschechoslowakei „nicht richtig“

Prag (APA) - Ein Vierteljahrhundert nach dem Zerfall der Tschechoslowakei hält eine Hälfte der Tschechen die Auflösung des gemeinsamen Staat...

Prag (APA) - Ein Vierteljahrhundert nach dem Zerfall der Tschechoslowakei hält eine Hälfte der Tschechen die Auflösung des gemeinsamen Staates für „nicht richtig“. Dies ging überraschend aus einer kürzlichen Umfrage des Prager Meinungsforschungsinstituts Median hervor. Überraschend, weil in den vergangenen Jahren eindeutig eine positive Einschätzung der Teilung der Föderation überwog.

Der tschechische Soziologe Martin Buchtik und seine slowakische Kollegin Sylvia Porubänova führen dies auf einen Generationenwechsel und „Erinnerungs-Optimismus“ zurück. „Die Gesellschaft erinnert sich nur an die gemeinsamen Seiten des Zusammenlebens, während die negativen Emotionen schon vergessen sind“, meinte Porubänova.

Laut Buchtik könnten die Tschechen die Slowaken darum beneiden, was sie seit der Teilung geschafft haben. In der Zeit der Trennung sei die Slowakei wirtschaftlich schwächer gewesen, wenn man aber die heutigen Zahlen ansehe, seien beide Republiken auf vergleichbarem Niveau. „Die Tschechen könnten die Slowaken um eine stärkere Integration in die EU beneiden, was vor allem auf die Euro-Einführung zurückzuführen ist“, so Buchtik.

Der tschechische Hauptdarsteller der Teilung, der damalige Premier Vaclav Klaus, beharrt aber auch heute darauf, dass die Auflösung der Tschechoslowakei richtig gewesen sei, weil sie beiden Nachfolgerepubliken geholfen habe. Es habe keinen Sinn, darüber nachzudenken, wie sich die Situation anders entwickelt hätte. „Die Entscheidung über die Teilung der Tschechoslowakei wurde durch legitime Organe beider Länder und mit einer massiven Unterstützung ihrer Öffentlichkeit durchgeführt“, argumentierte Klaus kürzlich offensichtlich in Anspielung auf die Kritiker, die sich beschweren, dass es keine Volksabstimmung dazu gegeben hatte.

In diesem Zusammenhang verweist Klaus darauf, dass die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Tschechien und Slowakei trotz der Teilung geblieben seien. „Einige Reibflächen sind sogar verschwunden“, argumentiert Klaus weiter. Er war es, der als tschechischer Regierungschef mit seinem slowakischen Amtskollegen Vladimir Meciar am 26. August 1992 in Brünn vor Journalisten getreten war. Und beide hatten mitgeteilt, dass die Tschechoslowakei am 1. Jänner 1993 zu existieren aufhört.

Dass zwischen Prag und Bratislava und vor allem zwischen den Menschen auf beiden Seiten der Grenze positive Stimmung herrscht, wird praktisch permanent bestätigt. Nicht nur, weil Tschechien und Slowakei erfolgreich im Rahmen der Visegrad-Gruppe (Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn) zusammenarbeiten und gelegentlich gemeinsame Sitzungen ihrer Regierungen stattfinden.

Viele Tschechen besuchen bis heute die Slowakei, ohne sich dort im Ausland zu fühlen. Wenn es etwa die Slowaken ins Finale einer Sportmeisterschaft schaffen, während Tschechien schon ausgeschieden ist, drücken nicht wenige Tschechen den Slowaken die Daumen. Und schließlich: der populärste Politiker in Tschechien ist der gebürtige Slowake Andrej Babis, dessen Protestbewegung ANO Favorit der bevorstehenden Parlamentswahlen ist. Babis hat gute Aussichten, künftiger Regierungschef zu werden. Und kaum jemanden in Tschechien stört die Tatsache, dass auch die Bürgermeisterin Prags Adriana Krnacova slowakischer Nationalität ist.

Anders als Klaus sieht der einstige Dissident und Innenminister der 1990-er Jahre, Jan Ruml, den Zerfall der Tschechoslowakei. „Bis heute liegt mir das schwer im Magen. Weder Tschechien noch der Slowakei hat es geholfen“, sagte er kürzlich im Tschechischen Fernsehen. „Wir haben die Karpatenukraine verloren (nach dem Zweiten Weltkrieg, Anm.), dann haben wir drei Millionen Sudetendeutschen abgeschoben und jetzt sind wir plötzlich im tschechischen Gebiet mit dem tschechischen allein Element geblieben. Jegliche Pluralität ist verschwunden“, so Ruml.