TT-Interview

Ein Tiroler in Syrien: „Die wahren Helden von Aleppo“

Normalerweise arbeitet der Absamer Andreas Knapp im zerbombten Syrien. Die TT traf ihn während seines Heimaturlaubs in Innsbruck.
© Unicef Syria

Der Absamer Andreas Knapp leitet die Unicef-Wasserprogramme in Syrien. Nach sieben Jahren Krieg gilt es dort nicht nur Notlager zu versorgen, sondern vor allem die angeschlagene Infrastruktur zu sanieren.

Herr Knapp, Sie sind seit Jänner Leiter des Wasser- und Siedlungsprogramms in Syrien. Ihr Büro liegt in Damaskus, die Arbeit führt Sie quer durch das Kriegsgebiet. Wie präsent ist Angst in Ihrem Arbeitsalltag?

Andreas Knapp: Rund um Damaskus liegen von oppositionellen Milizen belagerte Gebiete, die bombardiert werden. Diese Geräusche höre ich Tag und Nacht. Angst fühle ich weniger, eher bin ich bedrückt, weil mit jeder Detonation Zerstörung, Verletzungen und Tote einhergehen.

Für Ihre Sicherheit ist, soweit möglich, gesorgt?

Knapp: Ich fühle mich wie in einem elfenbeinernen Turm. In unserem Hotel haben wir 24 Stunden täglich Strom und Wasser – eine Rarität! Wir bewegen uns nur in gepanzerten Fahrzeugen, nur in Konvois, in Begleitung von Security-Experten, die jede Situation abschätzen. Und gewisse Gegenden meiden wir gänzlich.

Welche etwa?

Knapp: Derzeit die Stadt Rakka. Dort kämpfen die kurdische Miliz und die syrische Armee gegen den IS. Die Vereinten Nationen ersuchen zwar immer wieder um humanitäre Feuerpausen – in Rakka wurde eine solche noch nicht gewährt. Auch sonst wird so eine Pause in weniger als der Hälfte der Fälle eingehalten. Der IS versucht Zivilisten, quasi als Schutzschild, nicht aus der Stadt fliehen zu lassen. 200.000 haben es trotzdem geschafft. Rakka liegt am Fluss Euphrat, doch viele Zeltlager der Geflohenen liegen entfernt davon in trockenen Gebieten. Dort sorgen wir für eine Notversorgung mit Wassertankfahrzeugen.

Wie viel Wasser steht einem Menschen in so einem Zeltlager zur Verfügung?

Knapp: 15 bis 20 Liter pro Kopf und Tag. Weil das logistisch sehr aufwändig und teuer ist, suchen wir vor Ort auch Quellen. Deren Wasser ist sauber genug, um sich damit zu waschen. Dann müssen wir nur noch kleinere Wassermengen zum Trinken anliefern.

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Ihre Arbeit besteht aber nicht nur aus akuter Hilfe.

Knapp: Viele denken, dass im Krieg nur Hilfe in Notlagern gefragt ist. Beinahe wichtiger ist jedoch, die existierende Infrastruktur in Städten aufrechtzuerhalten. Bricht die zusammen, bedeutet das den Kollaps einer Stadt, weil etwa Cholera ausbrechen könnte.

Aleppo ist ein gutes Beispiel für eine angeschlagene Wasserversorgung. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus?

Knapp: 6,3 Millionen Syrer sind innerhalb des Landes geflüchtet. Wenn sie bei Bekannten unterkommen, verdoppelt und verdreifacht sich die Zahl der Einwohner einer Stadt binnen Tagen. Selbst die Versorgung einer florierenden Stadt wie Innsbruck würde so ans Limit kommen. In Aleppo wird das Wasser über 90 Kilometer vom Euphrat in die Stadt gepumpt. Durch die Angriffe wurde die Hauptpumpstation beinahe völlig zerstört. Wir stellen sie nun auf die Stromversorgung durch Dieselaggregate um, weil auch das Stromnetz fast zusammengebrochen ist. Parallel reparieren wir Lecks, Pumpanlagen und graben Tiefbrunnen.

Wer finanziert Ihre Arbeit?

Knapp: Die Unicef – zur Hälfte durch die Staaten gefördert, zur Hälfte durch Spenden.

Wie viele Mitarbeiter zählt Ihr Team?

Knapp: 20. Dazu kommen syrische Mitarbeiter der Wasserwerke und der lokalen Behörden. Sie sind für mich die wahren Helden von Aleppo. Sie haben auch in den schlimmsten Nächten des Krieges die Stellung gehalten, damit die Notwasserversorgung nicht einbricht, und wurden dabei teils so stark verletzt, dass sie ganze Körperteile verloren haben. Nur Dank ihres Engagements ist es möglich, das System zu sanieren. Jedenfalls zu einem gewissen Grad. Weil die Zahl der Mitarbeiter um zwei Drittel gekürzt wurde, ging viel Wissen verloren. Und weil der Krieg sieben Jahre andauert, wurden lange keine Ersatzteile mehr geliefert.

Wird Wasser vom IS als Druckmittel eingesetzt?

Knapp: Nicht nur vom IS, sondern auch von anderen Konfliktparteien. In Damasku­s gibt es eine Barriere, die Wasser aus den Quellen in die Stadt lenkt, damit es nicht in den Fluss fließt. Diese Barriere wurde gesprengt und das verbliebene Wasser mit Diesel vergiftet. Plötzlich waren vier Millionen Leute ohne Wasser. In Aleppo reicht es, einen Haupthahn abzudrehen – schon liegt die Stadt im Trockenen.

Würden Chlorprodukte Abhilfe schaffen, mit denen man Wasser reinigen kann?

Knapp: Theoretisch ja. Doch an Checkpoints, die von der syrischen Armee oder Rebellen betrieben werden, wird unseren Konvois oft Material abgenommen. Besser gesagt aus reiner Willkür beschlagnahmt. Neben Chlor sind Operationsbestecke und Durchfall-Medikamente begehrt. Die Konzentration von Chlorprodukten muss so gering sein, dass man daraus keine Kriegswaffe wie Chlorgas erzeugen kann.

Können Sie nachvollziehen, dass Syrer nach Europa flüchten?

Knapp: Wäre ich an ihrer Stelle, ich wäre auch gegangen! Schon wegen meiner drei Kinder. Schulen bleiben tagelang geschlossen. Die meisten Lehrer sind geflohen. Kürzlich habe ich für das Unicef-Projekt „Child-friendly Spaces“, wo Kinder einen Rückzugsort, ähnlich einem Kindergarten, bekommen, die sanitären Einrichtungen gebaut. Da waren 80 Kinder in einem früheren Geschäftslokal. Weil die Wirtschaft Aleppos zusammengebrochen ist, steht dort alles leer. Wir haben Löcher in die Rollläden geschnitten, damit Licht hereindringt. Da habe ich so viel positive Energie gespürt, obwohl rundherum nur Zerstörung herrschte.

Das Interview führte Judith Sam

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