Forum Alpbach: Zerfall und die Angst vor der Zukunft
Bei der Eröffnung der Politischen Gespräche am Sonntag in Alpbach wird auch der Historiker Philipp Blom mit dabei sein. Er warnt vor dem Untergang unserer freien Gesellschaft, welche die Zukunft verleugnet.
In Ihrem aktuellen Buch „Was auf dem Spiel steht" beschreiben Sie unsere Gesellschaft als eine, die mit den rasanten Entwicklungen wie dem Klimawandel und dem technologischen Fortschritt nicht mehr Schritt halten kann. Die sich trotz der Vorboten des Zerfalls der Zukunft verweigert und Zuflucht in einem reaktionären Weltbild sucht. Eine Gesellschaft, welche nicht mehr an die Versprechungen der liberalen Demokratie glaubt, welche die Hoffnung verloren hat. Kann diese Gesellschaft noch zusammenhalten?
Philipp Blom: Der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, wird weiter bröckeln, die Risse werden größer. Eines ist klar: Die Veränderungen werden mit aller Kraft in unsere Gesellschaften eindringen. Sie können unsere Gesellschaft zerrütten und den Todesstoß für unsere liberalen Demokratien bedeuten. Oder wir lernen, mit ihnen umzugehen. Alles, was wir jetzt haben, kann schon in kurzer Zeit verschwinden. Wir werden uns radikale Änderungen nicht ersparen können, müssen festgefahrene Strukturen überwinden. Den Satz „Das kann ja nie passieren" können wir streichen. Und ganz wichtig: Gesellschaften beruhen auf gemeinsamen Hoffnungen, auf einer Zukunftsperspektive. Gesellschaften ohne Hoffnung auf die Zukunft drohen zu zerfallen.
Vom Willen, sich den gewaltigen Herausforderungen zu stellen und einen Wandel einzuleiten, ist aber gerade auch von Seiten der Politik wenig zu spüren.
Blom: Politiker wollen wählbar bleiben. Doch es geht um das Begreifen einer akuten Krisensituation, um das Überleben einer Gesellschaftsordnung, die auf dem Postulat der universellen Menschenrechte aufbaut, Mitbestimmung garantiert und von einer starken Zivilgesellschaft lebt. Die Transformation der Gesellschaft hat sich extrem beschleunigt. Die zunehmende Digitalisierung hat enorme Sprengkraft, Erwerbsarbeit wird zunehmend obsolet, Vollbeschäftigung nur noch ein leeres Versprechen bleiben. Damit muss sich die Politik auseinandersetzen. Sie muss die Frage stellen, wo wir in 30 Jahren stehen wollen. Und das geschieht nicht. Es geht um die Frage, ob unsere liberale Demokratie auch angesichts eines sinkenden und vor allem immer ungleicher verteilten Wohlstandes überleben kann, wie die Gesellschaft den Wert des Menschen, dessen Arbeitskraft zunehmend weniger gebraucht wird, definiert. Und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das System des Wirtschaftswachstums, das auf Ausbeutung beruht, an seine Grenzen gestoßen ist. Ein Gebot der Stunde wäre etwa die radikale Abkehr von fossilen Brennstoffen. Das würde unser Leben zwar verändern, aber nicht zum Schlechteren. Das würde uns neue Chancen eröffnen.
Sie beschreiben, dass die wenigsten Menschen heute noch an die großen Versprechungen der freien kapitalistischen Gesellschaften glauben. An das Versprechen, dass im Sinne der Gerechtigkeit harte Arbeit zum Erfolg führt und eine sichere Zukunft verspricht. Zukunft ist heute mit Angst besetzt. Was ist da schiefgelaufen?
Blom: Die Versprechen greifen nicht mehr. Die Finanzkrise des Jahres 2008 hat einen tiefen Vertrauensbruch bewirkt. Und eines scheint klar: Noch so eine Krise — und viele Experten sind davon überzeugt, dass eine neue Krise nur eine Frage der Zeit ist — werden wir uns nicht leisten können. Unsere liberale Demokratie ist kein Naturzustand, sie ist nicht die Folge einer unabdingbaren historischen Logik. Wenn wir nicht reagieren, könnten wir uns schon sehr bald in einer anderen Welt wiederfinden.
Das Aufbegehren gegen die tiefgreifenden Veränderungen beflügelt zunehmend autoritäre Populisten. Kommt unsere Demokratie immer mehr unter die Räder? Hat die Stunde der Autoritären geschlagen?
Blom: Die neuen Autoritären wissen bestehende Ängste für sich zu instrumentalisieren und neue zu schüren. Sie versprechen jenen, die ihre Welt in die Brüche gehen sehen, einfache Lösungen. Sie versprechen, die alte Welt hinter hohen Mauern, die sie errichten wollen, zu bewahren. Und sie bringen unsere liberale Demokratie in Bedrängnis.
Ihre Analyse lässt nur wenig Raum für Hoffnung auf das Überleben einer freien Gesellschaft, die sich den kommenden Umwälzungen auch stellen kann.
Blom: Ja, es wird wahrscheinlich nicht gutgehen. Aber es kann gutgehen.
Das Interview führte Christian Jentsch