Freizeit

Wenn Talente hoch im Kurs stehen

© Oswald Marcher

Im Talentetauschkreis Osttirol wechseln Waren, Dienstleistungen und Fähigkeiten ihren Besitzer – ganz ohne Geld. Angepeilte Ziele: professioneller agieren, ein Leader-Projekt starten und verstärkt die Jugend mit ins Boot holen.

Von Claudia Funder

Lienz –Nachbarschaftshilfe ist ein vertrauter Begriff. Der Talentetauschkreis Osttirol ist eine Erweiterung – man tauscht quasi mit vielen „Nachbarn“ und deckt damit eigene Bedürfnisse sowie jene von anderen ab. Dachorganisation ist das Talentenetz Tirol, ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Innsbruck.

Der Talentetauschkreis Osttirol wurde 2005 ins Leben gerufen. Regionalbeauftragter ist seit zwei Jahren Reinhold Pölsler.

Die Philosophie hinter dem alternativen Wirtschaften ohne Gewinnabsichten ist simpel: Getauscht wird das eigene Talent. Der eine hat vielleicht ein gutes Händchen für Gartenpflege, der andere kann wiederum ein Fahrrad reparieren, bei Behördengängen oder beim Umzug behilflich sein. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Getauscht werden kann alles, was die derzeit 33 Mitglieder anbieten und nachfragen – Produkte ebenso wie Dienstleistungen und Fähigkeiten. In der langen Liste des Gebotenen wird jeder fündig. Und: Der Tausch muss weder unmittelbar noch direkt zwischen zwei Personen abgewickelt werden. Ein Vorteil des Tauschkreises besteht nämlich darin, dass aus dem großen Angebot der gesamten Gemeinschaft ausgewählt werden kann.

Und wie funktioniert nun dieser Wechsel von Waren und Dienstleistungen von einem Besitzer zum nächsten?

Es besteht nicht der Zwang „Ich gebe etwas und du gibst mir etwas zurück“. Die Mitglieder verfügen über ein Konto, auf dem alle Transaktionen verbucht werden. Und es gibt eine eigene „Währung“, sagt Pölsler. „Es wird nicht mit Geld, sondern mit Talenten bezahlt.“ Ein Talent ist eine Zeitwährung für die Arbeit von einer Stunde im Wert von zehn imaginären Euro, die aber nicht ausgezahlt werden. Alle Transfers werden genau dokumentiert.

Jede Arbeitsstunde sei gleich viel wert, stellt Pölsler klar. Egal, ob Computerspezialist, Hilfsarbeiter, Pensionist oder Hausfrau. „Zwischen Kopf- und Handarbeit wird nicht unterschieden.“

Der Regionalbeauftragte ist stets auf der Suche nach Weiterentwicklung und Verbesserung: „Es geht in Richtung mehr Mitglieder, mehr Talente, mehr Bekanntheit und mehr Kooperation. Wir wissen, dass wir Professionalität brauchen. Deshalb bemühen wir uns um Fördergelder und versuchen mit dem Regionsmanagement Osttirol ein Leader-Projekt zu starten.“

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Angepeilt wird auch eine Kooperation mit Schulen. „Wir möchten mit einem Projekt der Handelsakademie Lienz auch die Jugend einbinden und erfahren, was wir ändern müssen, um jungen Leuten die Türen öffnen zu können.“ Auch Unternehmen und Bauernläden will man mit ins Boot holen. Und man möchte verstärkt auf den Tauschkreis aufmerksam machen. „Wir müssen mehr als bisher in die Öffentlichkeit gehen und das Angebot bewerben.“

Der Tauschkreis ist nicht nur entkoppelt von der üblichen Marktwirtschaft und stellt das gängige Konsumverhalten in Frage. Er motiviert auch, eigene Talente zu erkennen und einzusetzen. Und nützt zudem dem Gemeinschaftssinn, sorgt für ein näheres Zusammenrücken von Menschen in der Region und spendet nicht zuletzt Anerkennung. Auf der Suche nach Dingen, die sie im Tausch anbieten können, entdecken manche Leute ihrer verborgenen Talente erst. „Das schafft auch mehr Selbstbewusstsein“, ist sich Reinhold Pölsler sicher.

Nach der Sommerpause starten übrigens bald wieder die monatlichen Tauschtreffen. Mitglieder bringen dazu ihre selbst erzeugten Produkte mit und werben für ihr spezielles Dienstleistungsangebot im handwerklichen, betreuenden und lebensverbessernden Bereich.

Interessierte sind eingeladen, in die Materie hineinzuschnuppern und sich den Ablauf des geldlosen Austausches von den Mitgliedern detailliert erklären zu lassen.

Wen nun die Neugier gepackt hat: Das nächste Tauschtreffen findet am Dienstag, den 5. September, ab 17.30 Uhr im Kolpinghaus Lienz statt. Jeder kann unverbindlich teilnehmen. Und wer weiß? Vielleicht entdeckt der eine oder andere Besucher selbst ein besonderes Talent an sich, das er gern anderen anbieten möchte.

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