Petritsch: Außenpolitik wird derzeit nur als Abwehrpolitik gesehen

Wien (APA) - Balkanexperte Wolfgang Petritsch wird am Samstag 70 Jahre alt. Im APA-Gespräch kritisiert er die Politik von Außenminister Seba...

Wien (APA) - Balkanexperte Wolfgang Petritsch wird am Samstag 70 Jahre alt. Im APA-Gespräch kritisiert er die Politik von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) scharf, spart aber auch nicht an Kritik an Ex-SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann. Der aktuelle Wahlkampf sei „von allen klassischen diplomatischen außenpolitischen Fragen befreit“. Außenpolitik werde nur als Abwehrpolitik gesehen, so der Ex-Spitzendiplomat.

Petritsch war Sekretär von Bruno Kreisky (1977 bis 1983), ehe er in den diplomatischen Dienst wechselte. Er war Botschafter in Serbien (1997 bis 1999), EU-Sondergesandter für den Kosovo (1998 bis 1999) und Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina (1999 bis 2002). Bei der Nationalratswahl 2002 kandidierte er für die SPÖ, im Falle eines Wahlsieges wäre er als Außenminister vorgesehen gewesen. Stattdessen wurde er Botschafter bei der UNO und WTO in Genf (2002 bis 2008) und anschließend bei der OECD in Paris (2008 bis 2013). Nach seiner Pensionierung übernahm er die Präsidentschaft der Austrian Marshall Plan Foundation und lehrte unter anderem an den renommierten US-Universitäten Harvard und Berkeley.

Die derzeitige Außenpolitik der Bundesregierung findet keinen Anklang bei Petritsch. Das Außenministerium habe sich „zu einem Abwehramt entwickelt“ und „die Regierung ist voll mit Sicherheitsministern“, die alle damit beschäftigt seien, ein Phantom abzuwehren. Stattdessen fordert er, dass Österreich „aus Eigeninteresse eine aktive Friedens- und Außenpolitik“ betreibe.

Die Beziehungen seien noch nie zu so vielen Nachbarstaaten so schlecht wie heute gewesen, so Petritsch. Bei der Türkei kritisiere man die Menschenrechtslage, was er unterstütze, während „man bei Russland die wirtschaftlichen Interessen hervorkehrt und völlig darauf vergisst, dass auch dort die Menschenrechte“ verletzt werden würden. Überhaupt sei die Nachbarschaftspolitik Österreichs derzeit „völlig inkonsistent“ und es würde auch der historische Kontext völlig außer achtgelassen, wenn etwa Panzer auf den Brenner geschickt werden würden.

Zwar wolle er sich nicht in den Wahlkampf einmischen, so Petritsch, doch sehe er es mit großer Sorge, dass auch die anderen Parteien nicht so sehr darauf achten würden, „welchen hohen Stellenwert gute internationale Beziehungen haben“. „Wir haben uns entwickelt zu einem unsicheren Kantonisten. Wir flirten mit Orban (dem ungarischen Premier Viktor, Anm.) und sind kritisch gegenüber Brüssel“, ohne zu verstehen, dass wir selber die EU seien. Österreich habe nämlich sehr stark vom EU-Beitritt profitiert und zähle heute zu einem der reichsten Länder der Welt, und das „hat mit Europa zu tun“.

Versäumnisse wirft Petritsch aber auch der Regierung Faymann vor. „Die sieben verlorenen Faymann-Jahre sehe ich als großes Problem und große Herausforderung für den jetzigen Bundeskanzler“, findet Petritsch. Was damals nicht passiert sei, könne man nur sehr schwer aufholen. Das wirke sich dann auf die „Mentalität einer Mehrzahl im Lande aus, die dann auf den Schein einer Sicherheit und des Bewahrens hineinfallen würden“, so Petritsch. Der Wahlkampf bei der Bundespräsidentenwahl habe nämlich gezeigt, dass die Österreicher für eine pro-europäische Politik durchaus zu haben seien, wenn die Zusammenhänge entsprechend erklärt würden.

Die Art und Weise, wie die Balkanroute geschlossen wurde, sei auch nicht ideal gewesen, findet er. „Indem wir Griechenland brüskieren in der Balkanfrage und Deutschland ausschließen, erreichen wir nichts“, betont Petritsch. Es sei ganz klar, „dass ohne den Türkei-Deal die Balkanroute nicht gehalten hätte“. Ihn habe es selbst überrascht, „wie negativ man hinter den Kulissen über den österreichischen Außenminister spricht“, so Petritsch. Anstatt sich der Aufgabe zu widmen, bestmögliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, betreibe der Außenminister Innenpolitik, kritisiert er.

Die Westbalkanländer seien differenziert zu beurteilen, analysiert Petritsch. Gerade sei er in Serbien gewesen und dort sehe man „trotz aller Flirts mit Russland“, dass die EU die Zukunft des Landes sei. Serbien sei auch der wichtigste Staat in der Region und „die Frage des serbisch-albanischen Verhältnisses“, also primär des Kosovos, sei ganz entscheidend. Österreich müsse sich da mehr einsetzen, da „wir in der Region einen großen Vertrauensvorschuss genießen“.

Der ausländische Einfluss am Westbalkan werde ohnehin überschätzt. So gehe es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht um den Balkan, sondern darum die EU vorzuführen. „Die Schwächen der EU sichtbar zu machen“, sei das wahre Ziel der russischen Außenpolitik. Daher sei es notwendig hart aber konstruktiv mit Putin zu reden. Die in Wahrheit von der USA betriebene Embargopolitik funktioniere nicht, mache „aber vieles schlechter“, so Petritsch. Bedingungslos sollten die Sanktionen nicht aufgehoben werden, doch sei es Aufgabe der Diplomatie einen Kompromiss mit einem so wichtigen Nachbarn wie Russland zu finden.

Bosnien-Herzegowina und der Kosovo seien sicher die Nachzügler in der Region, doch „in beiden Staaten könnte die Politik dort mehr erreichen“. „Wenn der Staatsbildungsprozess im Kosovo nicht endlich Fahrt aufnimmt, wird man auch in 30 Jahren nicht bereit für einen EU-Beitritt sein“, so Petritsch. In Bosnien werde man auch nicht weiterkommen, wenn nicht diese Dreiteilung des Staates überwunden werde. Diese „Dysfunktionalität des Staates“ begünstige freilich „potenzielle islamistische Terroristen“. Dennoch wolle er den Einfluss der Türkei und Saudi-Arabiens am Westbalkan nicht überbewerten. Es gebe Statistiken, die zeigten, „dass prozentmäßig wesentlich mehr Jihadisten aus Belgien kommen als aus Bosnien“.

Doch ein nicht funktionierender Staat sei eine Herausforderung, und hier müsse die EU ansetzen. Voraussetzung für einen EU-Beitritt der Westbalkanstaaten sei jedenfalls eine grundlegende Reform der EU, so Petritsch. Wichtiger als eine Frage, wann der Beitritt erfolgen könne, sei aber, welche Reformen in diesen Staaten umgesetzt werden müssen.

(Das Gespräch führte Martin Hanser/APA)