Deutschland kann Grenzkontrollen beibehalten
Berlin/Wien (APA/Reuters/dpa) - Deutschland kann die Grenzkontrollen zu Österreich vermutlich auch über den Herbst hinaus beibehalten. Mitgl...
Berlin/Wien (APA/Reuters/dpa) - Deutschland kann die Grenzkontrollen zu Österreich vermutlich auch über den Herbst hinaus beibehalten. Mitglieder des Schengen-Raums hätten die Möglichkeit, solche Kontrollen aus Sicherheitsgründen zeitlich begrenzt aufrecht zu erhalten, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission am Freitag.
Den Regeln des Schengen-Raums zufolge sind in außergewöhnlichen Situationen systematische Überprüfungen für bis zu acht Monate möglich und können auch darüber hinaus verlängert werden. So hat Frankreich Kontrollen etabliert, die wegen immer neuer Anschläge in dem Land von der EU-Kommission seit Jahren als gerechtfertigt angesehen werden. Nach Angaben der Sprecherin prüft die EU-Behörde derzeit, ob die geltenden Regeln ausreichen, um auf künftige Bedrohungen reagieren zu können.
Deutschland begründet die Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze mittlerweile nicht mehr nur mit dem Zustrom von Flüchtenden, sondern auch mit der erhöhten Gefahr von Anschlägen. „Angesicht der aktuellen Situation können wir auf absehbare Zeit nicht auf Grenzkontrollen verzichten“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Perspektivisch wolle die Regierung auf Grenzkontrollen verzichten. Er ließ offen, wann dies der Fall sein könnte.
Für die CSU sind die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze eines ihrer wichtigsten Anliegen. Bei einem großen Teil der Bevölkerung in Bayern stoßen die Kontrollen seit der Flüchtlingsdebatte auf Zustimmung. Das Thema Einwanderung spielt Umfragen zufolge im deutschen Wahlkampf eine große Rolle. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hält Grenzkontrollen innerhalb der EU jedenfalls für unabdingbar. „Zwar hat sich der Migrationsdruck durch Flüchtlinge in den letzten Monaten verringert. Die aktuellen Anschläge stellen aber gegenüber dem Jahr 2015 eine nochmals verschärfte und damit neue Lage dar, auf die Europa reagieren muss“, sagte der CSU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa in Anspielung auf die Terrorbedrohung.
Zuvor hatte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) verärgert darauf reagiert, dass die EU-Kommission eine erneute Verlängerung der Ausnahmegenehmigung für Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze zunächst abgelehnt hatte. Erst am Freitag signalisierte Brüssel die Möglichkeit der Sondergenehmigung. Dafür müsste die deutsche Regierung allerdings nachweisen, dass weiter eine ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit vorliegt, so eine Sprecherin.
Gegenüber Zeitungen der Funke Mediengruppen bezeichnete Seehofer die Erklärungen der EU-Kommission als „wieder so eine Sommeräußerung“. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer erklärte, Europa gehe es nicht gut, „wenn die EU den Schutz der Außengrenzen nicht hinbekommt und dann den Mitgliedstaaten eigene Grenzkontrollen verbieten will“.
Für die Einführung von Grenzkontrollen im eigentlich pass- und kontrollfreien Schengen-Raum gilt ein komplexes Verfahren. So können die Überprüfungen bis zu drei Mal auf insgesamt zwei Jahre verlängert werden. Grundlage ist der Schengen-Kodex, an den die EU-Kommission gebunden ist. Im Falle der „Flüchtlingskrise“ hat die Brüsseler Behörde der Verlängerung bereits drei Mal zugestimmt und im Mai vorgeschlagen, die Kontrollen im November einzustellen. Rein rechtlich ist die aktuelle Verlängerung auch die letzte mögliche. Neben Deutschland haben auch Österreich und andere Schengen-Länder wie Dänemark, Schweden und Norwegen wegen des Zustroms von Migranten Überprüfungen an den Grenzen eingeführt.
Die Kommission sieht dafür allerdings keine Grundlage mehr, weil es nach ihrer Ansicht erhebliche Verbesserungen bei der Sicherung der EU-Außengrenze in Griechenland gegeben hat. Dort seien nach der EU-Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei im Frühjahr 2016 in den Monaten danach 97 Prozent weniger Migranten angekommen als im gleichen Zeitraum zuvor. Die EU-Kommission schlug im Mai als Alternative verstärkte Polizeikontrollen in Grenzgebieten vor, wie es in Österreich sowie vielen deutschen Bundesländern mit der Schleierfahndung praktiziert wird. Die Brüsseler Behörde will die Kontrollen auf absehbare Zeit auch deshalb auslaufen lassen, weil sie wirtschaftliche Folgen durch einen eingeschränkten Personen- und Warenverkehr fürchtet. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Stephan Mayer, hält dagegen die Lage an den Außengrenzen noch nicht für ausreichend: „Eine Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen ist erst dann zu rechtfertigen, wenn die EU-Außengrenzen tatsächlich und effektiv geschützt sind.“
In Frankreich wiederum gibt es Kontrollen, die mit dem dort verhängten Ausnahmezustand begründet werden. Dort ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Anschlägen von Extremisten gekommen. Die EU-Kommission hat die Einschätzung der Regierung in Paris mit Blick auf die Bedrohungslage stets geteilt und eine Verlängerung der Kontrollen vorgeschlagen. Den Beschluss über die Genehmigung der Maßnahmen fällen die EU-Mitgliedsländer.