Klimawandel zeigt die Krallen: Auch Tirols Berge bröckeln
Nicht zum ersten Mal in diesem Sommer richteten Unwetter schwere Schäden in Tirol an. Extreme Wetterereignisse nehmen merklich zu. Auch die Bergwelt ist betroffen.
Innsbruck – Es dauerte nur kurz. Die Intensität, mit der ein Gewitter am Donnerstagabend über weite Teile Tirols fegte, war vielerorts verheerend. Zahlreiche Feuerwehren mussten ausrücken, um überflutete Keller auszupumpen und umgestürzte Bäume von Straßen zu entfernen.
Besonders schwere Schäden richtete das Gewitter im Tiroler Unterland an. In Höllenstein, einem Ortsteil von Münster, wurden mehrere Bäume vom starken Wind entwurzelt und gegen das Dach eines Wohnhauses geschleudert. In Kitzbühel deckten Sturmböen das Dach eines Wohnhauses ab. Die Blechplatten rissen den gemauerten Kamin mit, dessen äußerer Teil vom Dach stürzte. Der innere Teil des Kamines durchbrach die Decke und fiel in einen unbewohnten Teil des Hauses. 70 Feuerwehrleute mussten hingegen in Fieberbrunn ausrücken. Das Dach eines Bauernhofes war in Brand geraten. Gemeldet wurde das Feuer von den Bewohnern, die das Haus rechtzeitig verlassen konnten.
Extremereignisse im Tal und am Berg
Es war dies nicht das erste schwere Gewitter, das in diesem Sommer über Tirol gezogen ist. Durch den Klimawandel nehmen derart extreme Wetterereignisse stark zu, wie Peter Veider vom Kuratorium für Alpine Sicherheit weiß: „Wegen der steigenden Temperaturen verdunstet mehr Wasser und es kommt häufiger zu Extremereignissen.“ Während im Tal heftige Gewitter und Stürme Schäden verursachen, kommt es in den Bergen zu Erosionen und damit instabilen Hängen. Aber auch der Rückgang der Gletscher führt dazu, dass Gestein und Felsen sich lösen und damit für Wanderer und Alpinisten häufiger zur Gefahr werden wie noch vor 20 Jahren. Wo früher Firn und Eis für Stabilität sorgten, liegt heute das Material locker am Berg. „Die Zahl der Alpinunfälle mit Steinschlag ist in den vergangenen Jahren merkbar angestiegen“, weiß Veider und betont, dass eine genaue Planung sowie der Rat von Ortskundigen das Risiko minimieren können. Ein Extremereignis wie zuletzt in der Schweiz will Veider auch für Tirol nicht gänzlich ausschließen: „Ich würde da niemals nie sagen. Man darf nämlich nicht vergessen, dass die Berge immer in Bewegung sind.“
Kalte Nächte, heiße Tage nicht förderlich
Am Mittwochvormittag brachen im Schweizer Kanton Graubünden vier Millionen Kubikmeter Geröll ab. „Grundsätzlich ist so etwas ein normaler Prozess in den Alpen“, sagt Ivo Schreiner, interimistischer Leiter der Abteilung Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol. Auch in Tirol sei man darauf vorbereitet, evaluiere ständig Daten aus gefährdeten Gebieten. „Bahnt sich dann ein Bergsturz an, wird evakuiert und ein Betretungsverbot ausgesprochen.“
Vor allem der Wechsel von kalten Nächten und heißen Tagen befördere die Chancen auf Fels- und Bergstürze, weiß der emeritierte Professor für Geologie, Rainer Brandner: „In der Nacht nimmt das Volumen des Gesteins ab, scheint die Sonne drauf, nimmt es zu. Diese Wechsel machen den Felsen brüchig, es bilden sich Risse.“ Dann könne Wasser in die Klüfte einsickern und „diese immer größer und tiefer werden lassen“, erklärt Brandner. (bfk, np)
Bergsturz auch in Tirol wahrscheinlich
Landesgeologe Gunther Heißel erklärt, wie wahrscheinlich ein ähnliches Ereignis in Tirol ist und welche Regionen besonders gefährdet sind.
Kann es auch in Tirol zu einem Bergsturz wie jenem in der Schweiz kommen?
Gunther Heißel:
Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass es bei uns zu ähnlichen Ereignissen kommt. Jedoch mit zwei Einschränkungen. Einerseits gibt es derzeit kein Gebiet, in dem derart viel Gestein im Abbrechen befindlich ist, andererseits sind keine Siedlungsgebiete in Gefahr.
Welche Regionen in Tirol sind betroffen?
Heißel:
Ich kann zwei Beispiele nennen. Am 2592 Meter hohen Hochvogel in den Allgäuer Alpen ist aufgrund natürlicher Erosion viel Material in Bewegung. Bei der Blickspitze in den Kaunertaler Alpen werden, wegen des auftauenden Permafrostbodens, über kurz oder lang zwischen zwei und drei Millionen Kubikmeter Geröll abbrechen.
Und was passiert, wenn es wirklich ernst wird?
Heißel:
Gefährdete Gebiete werden von uns ständig kontrolliert. Sollte sich ein Bergsturz ankündigen, werden Straßen, Kletterrouten und Wanderwege gesperrt und im äußersten Notfall Wohngebiete evakuiert.
Das Interview führte Benedikt Mair.