Immer weniger arbeiten in Deutschland unter Tarifbindung

Berlin (APA/AFP) - In Deutschland arbeiten immer weniger Menschen in Betrieben, die an einen Branchentarifvertrag (Kollektivvertrag) gebunde...

Berlin (APA/AFP) - In Deutschland arbeiten immer weniger Menschen in Betrieben, die an einen Branchentarifvertrag (Kollektivvertrag) gebunden sind. 2016 lag ihr Anteil in Westdeutschland bei 51 Prozent und in Ostdeutschland nur noch bei 36 Prozent, wie aus einer Antwort der deutschen Regierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, über die am Dienstag zunächst die „Berliner Zeitung“ berichtete.

Die Zahl ging seit Mitte der 90er-Jahre kontinuierlich zurück, wie aus der der AFP vorliegenden Antwort der Regierung hervorgeht. Vor 20 Jahren galt noch für 68 Prozent der Arbeitnehmer in Westdeutschland und 55 Prozent der Arbeitnehmer in Ostdeutschland eine Beschäftigung und Bezahlung nach Branchentarifvertrag. Bis zum Jahr 2007 gingen die Zahlen auf 56 Prozent (West) beziehungsweise 41 Prozent (Ost) zurück.

„Der tarifpolitisch gut regulierte Kern wird immer kleiner und die tarifschwachen und -freien Zonen immer größer“, kritisierte die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Jutta Krellmann. Folge dieser Entwicklung sei, dass immer mehr Beschäftigte weniger Lohn erhielten, als ihnen unter Tarifvertragsbedingungen zustünde.

Die deutsche Regierung erklärte in ihrer Antwort, ihrer Auffassung nach sei „eine Erosion des Systems der Branchen- beziehungsweise Flächentarifverträge nicht zu beobachten“. Zwar sei die Zahl der Flächentarifverträge rückläufig, allerdings weise die Zahl der Tarifverträge insgesamt in den vergangenen Jahren eine steigende Tendenz auf. 2016 habe es insgesamt rund 73.000 Verbands- und Firmentarifverträge gegeben, und selbst bei einer fehlenden Tarifbindung orientierten sich Arbeitgeber an tarifvertraglichen Regelungen, erklärte die Regierung.

Die Linken-Politikerin Krellmann kritisierte zudem das 2015 in Kraft getretene „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ als unzureichend. Es müsse weiterentwickelt werden, forderte sie. So dürfe es im Tarifausschuss kein Vetorecht für branchenfremde Arbeitgeberverbände geben, wenn sich die eigentlichen Tarifparteien einig seien.

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie führte die Große Koalition nicht nur den Mindestlohn ein, sondern erleichterte auch die Bedingungen dafür, dass nicht tarifgebundene Betriebe Tariflöhne zahlen müssen. Das Arbeitsministerium kann Tarifverträge seitdem leichter für allgemeinverbindlich erklären. Zuvor mussten mindestens 50 Prozent der Beschäftigten einer Branche bereits Tariflöhne erhalten. Seitdem kann die Allgemeinverbindlichkeit erklärt werden, wenn es „im öffentlichen Interesse geboten erscheint“.

Die deutsche Regierung verneinte die Frage, ob es wegen einer sinkenden Zahl von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen Handlungsbedarf gebe. Für eine abschließende Bewertung der Reform sei es noch zu früh, Änderungen in dieser Legislaturperiode seien nicht mehr geplant.