Bürgerrechtsbeauftragter Bodnar: „Gemischte Gefühle“ zu Lage in Polen
Alpbach (APA) - Der polnische Bürgerrechtsbeauftragte Adam Bodnar hat bei der Bewertung der derzeitigen Lage in seinem Land „gemischte Gefüh...
Alpbach (APA) - Der polnische Bürgerrechtsbeauftragte Adam Bodnar hat bei der Bewertung der derzeitigen Lage in seinem Land „gemischte Gefühle“: „Wenn man sich die Grundrechte anschaut - wir haben freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, persönliche Freiheiten und so weiter, aber das Problem ist, dass man bei all diesen Rechten eine Veränderung hin zu einem schlechteren Schutz beobachtet.“
Die polnische Regierung habe seinem Eindruck nach eine große Scheu davor, „bestimmte Grenzen zu überschreiten, wo sie dann wirklich massive Proteste auf den Straßen hätte“, sagte der Verfassungsrechtler, der für fünf Jahre als Ombudsmann bestellt ist und über eine breite Palette an Kompetenzen verfügt, am Rande des Forums Alpbach im Gespräch mit der APA. Die Lage von Rechten und Freiheiten hänge daher dieser Tage nicht so sehr von der Verfügbarkeit der Grundrechte und den entsprechenden rechtlichen Instrumenten ab, „sondern von politischer Angst, eine bestimmte Linie nicht zu überschreiten. Aber in einem demokratischen Staat sollten wir natürlich nicht Rechte haben, die statt von einem System unterschiedlicher Institutionen vom Willen einiger Politiker abhängen“, unterstrich Bodnar.
Hinzu komme, dass die Regierung „unterschiedliche internationale Verpflichtungen“ ignoriere, etwa jüngst im Hinblick auf den Bialowieza-Urwald, wo im Widerspruch zu einer Anordnung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) weiter Bäume gefällt werden sollen. „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Regierung eine mangelnde Bereitschaft zeigt, verbindliche Gerichtsentscheidungen umzusetzen.“ Deshalb seien unabhängige Gerichte so wichtig, „denn unabhängige Gerichte sind so etwas wie der letzte Wächter“.
Die Regierung der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) argumentiert Veränderungen im polnischen Justizsystem, die teilweise auf massive internationale Kritik gestoßen sind und zur Eröffnung eines EU-Rechtsstaatsverfahrens geführt haben, immer wieder mit der Notwendigkeit, die bestehenden Gegebenheiten zu reformieren. Auch Bodnar tritt grundsätzlich für Reformen ein. Allerdings müsse man sich hier sehr spezifische strukturelle Dinge ansehen, und dafür brauche es „eine umfassende, langfristige, sehr langweilige und sehr organische Reform“. Justizminister Zbigniew Ziobro wolle hingegen im Grunde „mehr politische Unterordnung“ und eine Möglichkeit zum Personalaustausch im Justizbereich schaffen.
Bodnar, der früher unter anderem für die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte tätig war, sprach in diesem Zusammenhang auch von „Populismus“: „Es werden Argumente verwendet, die der Öffentlichkeit attraktiv erscheinen“ - jeder würde beispielsweise der Aussage zustimmen, „dass Richter stärker rechenschaftspflichtig sein müssen“ oder „dass Richter effizienter arbeiten sollten“. Doch auch wenn die „Diagnose“ in mancherlei Hinsicht vielleicht gut sei, so seien „die Instrumente, wie man das beheben kann, wie eine Therapie ermöglicht wird, grundlegend falsch“.
Ein gemischtes Bild ergibt sich für Bodnar auch, wenn man die bisherigen Veränderungen in Polen seit dem Regierungsantritt der PiS betrachtet. Im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeitsstandards und die Unabhängigkeit bestimmter Institutionen habe es „augenscheinlich Verschlechterungen“ gegeben, „besonders in Bezug auf das Verfassungsgericht, aber auch mehr Kontrolle über die Geheimdienste und öffentliche Medien“. Andererseits seien manche Reformen im Sozialbereich durchaus positiv zu sehen.
Als Beispiel griff Bodnar das Programm „500 plus“ heraus, im Zuge dessen Familien ab dem zweiten Kind 500 Zloty (117,38 Euro) extra pro Kind und Monat bekämen, was gerade ärmeren Familien helfe. „Es sind einige sehr positive Folgen zu sehen, dass es den Menschen besser geht und sie mehr Geld für das Wohlergehen ihrer Familie ausgeben können.“ Ein anderer Aspekt der Vorhaben der PiS seien ein besserer Schutz von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz und der Kampf gegen unfaire Praktiken am Arbeitsmarkt. Auch manche Ideen für den Wohnungsmarkt erschienen vielversprechend: Während sich die von der „Bürgerplattform“ (PO) geführte Vorgängerregierung eher auf die Möglichkeit des Erwerbs von Eigenheimen durch Kredite konzentriert habe, sei die derzeitige polnische Führung „sehr an der Unterstützung des sozialen Wohnbaus interessiert“.
Die PiS-Regierung beklage sich bisweilen darüber, dass sie im Ausland kritisiert werde und ihre Leistungen im Sozialbereich nicht wahrgenommen würden, und manchmal sei „das Bild im Ausland“ tatsächlich „verzerrt“, sagte Bodnar. „Aber das bedeutet klarerweise nicht, dass die Regierung die Berechtigung hat, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts zu beschränken oder Werte zu untergraben, die mit der polnischen Verfassung verbunden sind.“
Die Funktion des Ombudsmannes, die es bereits seit 30 Jahren gibt und in dessen Büro derzeit rund 300 Personen arbeiten, ist mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet, die mit dem Schutz der Menschenrechte in Polen zu tun haben, beispielsweise dem Recht, Haftanstalten zu kontrollieren oder Gesetze zur Prüfung an das Verfassungsgericht zu überweisen. „Das Problem ist, wenn das Verfassungsgericht kein wirklich unabhängiges Gericht mehr ist, dann sind auch diese Rechte beschränkt“, sagte Bodnar dazu. Abzuwarten sei aber keine Option für ihn, sondern er überlege sich vielmehr, wie er mit seinen anderen Kompetenzen seiner Rolle gerecht werden könne - zum Beispiel, indem er vor dem Parlament spreche und gegen bestimmte Gesetze protestiere.
Vorzeitig entlassen werden könnte der seit Herbst 2015 amtierende Bodnar, der vom Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) nominiert und mit Unterstützung der PO von beiden Kammern des Parlaments (Sejm und Senat) gewählt wurde, nur im Falle einer Verletzung seines Amtseides und mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit. „Das ist ein bisschen wie ein Impeachment“, erklärte er das Prozedere. Immer wieder gebe es Äußerungen von Politikern aus dem Regierungslager, dass man das vielleicht anstreben sollte. „Aber letztlich wurden bisher nie formelle Schritte gegen mich eingeleitet“, sagte Bodnar. „Ich versuche, meine Arbeit zu machen, und die Regierung versucht, mit mir zu leben. Aber das könnte sich natürlich jederzeit ändern.“
(Das Gespräch führte Alexandra Frech/APA.)