Sauerei und Schönheit: “Blumen des Bösen“ von Charles Baudelaire
Heute vor 150 Jahren starb Charles Baudelaire. Seine „Blumen des Bösen“ gelten als Beginn der modernen europäischen Lyrik. Jetzt wurden sie neu übersetzt.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Charles Baudelaire sei als „zerrütteter Greis verreckt“, schrieb der große Feuilletonist Fritz J. Raddatz, als es Anfang der 1990er-Jahre galt, eine gelungene Übersetzung der „Blumen des Bösen“ zu bejubeln. Nicht die erste. Und auch nicht die letzte. Schon Stefan George hat sich daran versucht – und dabei dem Original den eigenen Stilwillen übergestülpt. Walter Benjamin pickte sich nur jene Passagen heraus, die ihm zur Erhärtung seiner These vom „Barock der Banalität“ nützten. Jetzt hat sich Simon Werle – viel gelobt für seine Übersetzungen von Racine und Corneille sowie einer ganzen Reihe zeitgenössischer Texte – dieses Manifests der Moderne angenommen. Umfassend und genau ist seine Übertragung. Weniger um Nachdichtung bemüht als um möglichst wortgetreue Präzision. Ein Standardwerk für künftige Generationen. Eines, an dem man sich – auch kritisch – abarbeiten kann. Besseres lässt sich über eine Übersetzung nicht sagen: Sie fordert Besserwisser heraus. Auch dadurch leben bedeutende Werke weiter.
Als Baudelaire, der Greis, heute vor 150 Jahren starb, war er gerade einmal 46 Jahre alt. Ein von der Syphilis, an der er seit jungen Jahren litt, hervorgerufener Schlaganfall hatte ihm davor die Sprache geraubt. Bei vollem Bewusstsein war er zum Schweigen verurteilt. Dem Schicksal gelang, was Gerichte zuvor versuchten. Zehn Jahre vor seinem Tod waren „Die Blumen des Bösen“ erschienen – und wurden prompt zensiert: blasphemisch, unsittlich, ein Angriff auf Anstand und guten Geschmack. Kein Zweifel: Die Zensoren hatten Recht. Deshalb konnten sie die Wirkmacht der Gedichte auch nicht brechen. „Die Blumen des Bösen“ waren Vorboten einer Zeitenwende: Das Hässliche wurde hoffähig, Obsessionen, Dünkel, Angst und Schrecken der Großstadt sowie auch der Reiz, der von Rausch und Ruchlosigkeit ausgeht.
Trotzdem sind Baudelaires Gedichte – „Der Albatros“, „Die Uhr“, „Die Blinden“ – formvollendet: Reim und Metrik folgen strengen Mustern. Auch aus diesem Widerspruch nährt sich die Faszination, die von den „Blumen des Bösen“ ausgeht: Schönheit und Sauerei gehören zusammen – und Baudelaire denkt sie zusammen. So viel Realität ist durch geschliffenen Realismus, der hier nach allen Regeln der Kunst zertrümmert wird, nicht zu fassen.
Lyrik Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen. Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt, 608 Seiten, 39,10 Euro.