„Zeit der Ernte“: Burke blickt in gesellschaftliche Abgründe
Wien (APA) - Rassismus, Ausbeutung und eine korrupte Obrigkeit sind Themen in James Lee Burkes Roman „Zeit der Ernte“. Aber es geht nicht um...
Wien (APA) - Rassismus, Ausbeutung und eine korrupte Obrigkeit sind Themen in James Lee Burkes Roman „Zeit der Ernte“. Aber es geht nicht um gesellschaftspolitische Lösungen, wie der Autor selbst im Nachwort betont, sondern um das Individuum - ob man mitläuft oder die Würde bewahrt. Das Buch steht in der Tradition eines John Steinbeck oder William Faulkner und verdient, gelesen zu werden.
Burke, mittlerweile 80 Jahre alt, ist hauptsächlich als brillanter Krimischreiber bekannt. Seine 20 Bände umfassende Reihe um den Südstaaten-Polizisten Dave Robicheaux, der in New Orleans ermittelt, gilt unter Kennern als Genre-Highlight. Auch deshalb, weil Burke auf die sozialen Umstände und die menschlichen Komponenten genauso achtet wie auf die Story selbst. Daneben schreibt der Texaner immer wieder an der Saga der Familie Holland und überschreitet dabei stilistische Grenzen.
1969 begann Burke mit der Arbeit an dem Roman „Lay Down My Sword & Shield“, der 1971 fertig war und mit reichlich Verspätung nun als „Zeit der Ernte“ in deutscher Übersetzung bei Heyne erschienen ist. An Aktualität hat die Geschichte um einen Kriegsveteranen und erfolgreichen Anwalt, der sich um ein politisches Amt bewirbt und in die Auseinandersetzung zwischen streikenden armen Arbeitern und gewaltbereiten Rednecks gerät, nichts verloren. Die Hauptfigur, Hackberry Holland, findet dabei seine Berufung und Wege, seine inneren Dämonen zu zähmen.
Die Probleme, denen sich Holland stellt, sind auch unsere, schreibt Burke im Nachwort. Die Ausbeuter, die Neo-Kolonialisten, die Kriegstreiber, demagogische Politiker, die Angst schüren und Hass predigen - „sie alle sind noch da, entschlossen, gierig, ohne Scham oder Gewissen, gleichgültig angesichts des Leids, das sie über Unschuldige bringen“. Hackberry Holland weiß am Ende der Geschichte, das er die Welt nicht ändern wird. Aber er verweigert sich als Kollaborateur.
Dabei ist der Anwalt alles andere als ein klassischer Held. Der Leser weiß nicht so recht, ob er den saufenden, hurenden und großmauligen Hackberry Holland sympathisch finden soll. Erst langsam, je mehr sich die Figur öffnet, kann man die Motivationen des Mannes nachvollziehen. Burke versteht es, Traumata und ihre Folgen anschaulich und ungeschönt darzustellen. Und nicht zuletzt strahlt „Zeit der Ernte“ Atmosphäre aus: Die plastische Beschreibung der Landschaft und des Wetters, oft am Rande zum Kitsch, aber nie pathetisch, lässt mitschwitzen, riechen und fühlen.
(S E R V I C E - James Lee Burke, „Zeit der Ernte“, Heyne Verlag, aus dem Amerikanischen von Daniel Müller, 384 Seiten, 18,50 Euro)