40 Jahre „Deutscher Herbst“: De Maiziere über RAF und IS
Vor 40 Jahren überzogen Linksextremisten Deutschland mit einer Serie an Attentaten. Heute geht wieder Terrorangst um. Der deutsche Innenminister im Gespräch über Parallelen und Unterschiede.
Berlin – 1977 überzog die RAF die deutsche Bundesrepublik mit einer Serie von Attentaten und Entführungen. Heute ist Deutschland mit einer anderen Art von Terrorismus konfrontiert. Thomas de Maiziere erlebte den RAF-Terror nur als ferner Beobachter, heute hat er als deutscher Innenminister intensiv mit islamistischen Extremisten zu tun, die Angst in der Gesellschaft verbreiten wollen.
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der CDU-Mann über den Terror damals und heute.
Welche Erinnerungen haben Sie persönlich an den „Deutschen Herbst“ und das Terrorjahr 1977?
Thomas de Maiziere: Ich war damals am Anfang des Jus-Studiums in Münster und beim RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) engagiert. Wir haben voller Entsetzen und Erstaunen wahrgenommen, was da stattfand. Mit unserer Realität hatte das nicht viel zu tun. Das war irgendwie weit weg. Wir haben in der Studentenschaft aber erbittert über die Frage „legitimer Gewaltanwendung“ gestritten – und darüber, ob es jemandem erlaubt ist, gegen den Staat vorzugehen, wenn er ihn für repressiv hält. Für mich war das eine aberwitzige Vorstellung.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem RAF-Terror damals und dem IS-Terror heute?
De Maiziere: Beiden gemeinsam sind die blinde Entschlossenheit, die Selbstermächtigung zur Gewaltausübung und die Existenz einer Unterstützerszene. Für eine erstaunliche Gemeinsamkeit halte ich auch die Nutzung moderner Medien für die Propaganda. Die RAF hat neben Flugblättern auf das damals neue Medium Videos gesetzt, um große öffentliche Wirkung zu erzielen und Druck auf den Staat auszuüben. Der RAF-Terrorismus war medial sehr modern. Der IS macht das heute mit den neuen Medien noch etwas anders. Aber in der Struktur gibt es da Parallelen.
Wo liegen die größten Unterschiede?
De Maiziere: Der Terror der RAF war ein deutscher Terrorismus, mit wenig internationalen Bezügen. Der islamistische Terror heute ist ein internationales Phänomen. Unterschiedlich ist auch die Motivlage: Der RAF ging es um das Zerschlagen eines kapitalistischen Systems, dem IS geht es um die Errichtung eines Gottesstaates. Die RAF-Terroristen wollten einen Umsturz erreichen. Die IS-Terroristen wollen für Verunsicherung sorgen und eine Veränderung unserer Lebensweise erzwingen. Auch die Ziele sind andere: Der RAF-Terror richtete sich gegen Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Wenn dabei ein Chauffeur oder Personenschützer umgebracht wurde, nahm die RAF das billigend in Kauf - was in der Szene durchaus umstritten war. Der IS dagegen zielt wahllos auf Menschen, die willkürlich getroffen werden. Es gab damals auch nicht so viel Empathie mit den Opfern wie heute – keine Gedenktafeln oder Gedenkveranstaltungen. Die Anteilnahme für die Opfer des IS-Terrorismus ist heute größer.
Wie ist es mit den Tätern?
De Maiziere: Die RAF-Leute wollten nicht erwischt werden, sie wollten entkommen. Beim islamistischen Terror spielt das eigene Leben für die Täter dagegen zumindest scheinbar keine Rolle – so war es zumindest bisher. In den vergangenen Monaten waren auch hier andere Muster zu beobachten. Bei den jüngsten Anschlägen in Finnland, Frankreich und Spanien, aber auch beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt wollten die Täter abhauen und haben das zum Teil auch zunächst geschafft. Mehrere Täter nutzten auf der Flucht Attrappen von Sprengstoffgürteln, damit die Polizei aus Angst vor einer Explosion nicht auf sie schießt. Das ist eine neuere Entwicklung.
Bei der RAF gab es eine vergleichsweise kleine Gruppe von Tätern. Beim islamistischen Terror gibt es Hunderte „Gefährder“, dazu eine unbekannte Zahl von potenziellen Tätern, die nicht auf dem Radar der Sicherheitsbehörden sind. Fühlen Sie sich da manchmal hilflos?
De Maiziere: Die Zahl der aktiven und der potenziellen Täter ist beim islamistischen Terror heute tatsächlich viel größer. Mit einem Unterschied: Al-Kaida will immer die Hoheit über die Anschläge behalten. Dem IS reicht es dagegen in vielen Fällen, Einzeltäter zu „inspirieren“ und deren Anschläge danach für sich zu reklamieren. Das erschwert die Gegenwehr.
Inwiefern? Wie hat sich die Terrorbekämpfung verändert?
De Maiziere: Auf den RAF-Terror hat der Staat damals kräftig reagiert. Die Verfassung wurde geändert. Es gab das Kontaktsperregesetz – rechtlich war das höchst umstritten. Das BKA (Bundeskriminalamt in Deutschland, Anm.) wurde damals personell und auch technisch stark verändert und vergrößert. Es wurde eine eigene Abteilung für Ermittlungen und Auswertungen im Bereich des Terrorismus aufgebaut, es wurden neue Datenbanken eingerichtet. „Kommissar Computer“, der damalige Präsident des BKA trieb die technische Weiterentwicklung massiv voran. Als Reaktion auf den islamistischen Terror haben wir auf diesen Strukturen aufgebaut und beispielsweise das inzwischen etablierte und bewährte Gemeinsame Terrorabwehrzentrum gegründet. Wir sind dabei, beim BKA eine neue IT-Sicherheitsarchitektur zu schaffen – mit einer anderen Struktur der Datenbanken. Das ist eine ähnlich gewichtige Antwort wie damals beim RAF-Terror. Heute ist die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden viel wichtiger als zu RAF-Zeiten.
Ist linker Terror in Deutschland wie jener der RAF noch mal vorstellbar? Oder in anderer Ausprägung?
De Maiziere: Das ist eine schwierige Frage. Nach dem G-20-Gipfel haben viele von Terror geredet. Was wir dort erlebt haben – dass verabredet, vorbereitet und mit Tötungsvorsatz Gehwegplatten und Molotowcocktails auf Polizisten, auf andere Menschen geworfen wurden – das ist mehr als nur ein Mordversuch. Trotzdem scheue ich mich, hierfür den Begriff Terrorismus zu verwenden. Wahr ist aber, dass viele die Gewaltbereitschaft des Linksextremismus unterschätzt haben. Nach G-20 sind solche Untertreibungen hoffentlich zu Ende.
Zur Person
Thomas de Maiziere (63) ist seit 2013 deutscher Innenminister. Der CDU-Politiker stand von 2009 bis 2011 schon ein Mal an der Spitze des Innenressorts. Dazwischen war er Verteidigungsminister.
Die RAF als Terrorgruppe hat sich aufgelöst. Ist denkbar, dass eines Tages auch der islamistische Terror wieder verschwindet?
De Maiziere: Wir arbeiten daran. Und wir hoffen, dass durch die Lösung internationaler Konflikte der IS-Terror endet. Terror war aber immer schon da. Letztlich ist zum Beispiel auch der Erste Weltkrieg durch einen terroristischen Anschlag auf einen Thronfolger ausgelöst worden. Terror hat es also immer gegeben und wird es wohl immer gegeben. Wir sollten uns aber nicht daran gewöhnen und daran arbeiten, dass wir den Terror besiegen. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass das lange dauern wird.