Literatur

“Underground Railroad“: Unheil an jeder Station

Colson Whitehead zählt zu den bedeutendsten Gegenwartsautoren der Vereinigten Staaten.
© Whitehead

„Geraubte Körper auf geraubtem Land“: Colson Whiteheads vielfach ausgezeichneter Roman „Underground Railroad“ über Sklaverei liegt nun auf Deutsch vor.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Die beiden bedeutendsten US-Literaturpreise – den National Book Award und den Pulitzer Prize – für ein und denselben Roman zu gewinnen, ist ein Kunststück, das nur wenigen gelungen ist: William Faulkner zum Beispiel oder John Updike. Seit einigen Monaten ist auch der 1969 in New York geborene Colson Whitehead Mitglied dieses exklusiven Klubs: Im April 2017 bekam er für seinen 2016 mit dem Book Award ausgezeichneten Roman „Underground Railroad“ den Pulitzer Prize. Ein Bestseller war das Buch in den USA bereits davor: Amerikas wirkmächtigste Erfolgsbuchmacherin Oprah Winfrey empfahl es in ihrer Talkshow – und Barack Obama wählte es als Urlaubslektüre für seinen letzten Sommer als US-Präsident. Ob auch Obamas Nachfolger „Underground Railroad“ gelesen hat, darf bezweifelt werden. Donald Trump nützte seine ersten Ferien vom höchsten Amt im Staat vornehmlich dazu, rassistische Ausschreitungen zu relativieren.

Was wiederum dem Erscheinen der deutschen Übersetzung von Whiteheads Roman wenige Wochen große Aufmerksamkeit sicherte, die nur durch Preise, Oprah und Oba­ma kaum zu kriegen wäre. Denn „Underground Railroad“ ist ein Buch über den Rassismus in den USA.

Der Titel des Romans bezieht sich auf ein geheimes Netzwerk von Gegnern der Sklaverei, die – in den Jahren vor dem Bürgerkrieg – Schwarze bei der Flucht in den Norden unterstützten. Die Schleuser nützten dafür die Terminologie des beginnenden Eisenbahnwesens, sprachen von Schaffnern, Bahnhöfen, Weichen und Knotenpunkten.

Whitehead allerdings bedient sich für seinen Roman eines kühnen literarischen Tricks: Er nimmt den Geheimcode beim Wort und imaginiert eine tatsächliche Untergrund-Eisenbahn, die Flüchtende der Freiheit näher bringt.

Bevor Whiteheads Heldin Cora unter die Erde kriechen darf, um dort einen Zug in Richtung Hoffnung zu besteigen, entwirft „Underground Railroad“ aber ein anhand von Zeitzeugenberichten penibel recherchiertes Panorama der Scheußlichkeiten: „Geraubte Körper“ werden auf (von den amerikanischen Ureinwohnern) „geraubtem Land“ von sadistischen Plantagenbesitzern zu Tode gequält – und sind dabei nicht nur Opfer weißen Überlegenheitswahns, sondern auch von Denunzianten in den eigenen Reihen. Solidarität unter Leidenden, das unterstreicht Whitehead in jeder Zeile, ist kaum mehr als eine hollywoodtaugliche Mär.

Whitehead schildert diese ganz realen Höllen schonungslos, aber mit manchmal nüchterner, dann wieder mit bisweilen an Manierismus grenzender Eleganz, was den beschriebenen Schrecken ins beinahe Unerträgliche potenziert.

Auch deshalb übersieht man zunächst die dezenten Hinweise, dass dieser Roman wohl in einem Alternativ-Universum angesiedelt ist. Dann allerdings besteigt Cora die U-Bahn gen Norden – und alles wird anders. Aber wenig wirklich besser: Auch im vermeintlich liberalen South Carolina sind Schwarze Menschen zweiter Klasse – ganz offiziell plant die Regierung dort die Zwangssterilisierung für schwarze Frauen – und nützt die Männer als Versuchskaninchen für Syphilis-Studien.

In North Carolina muss sich Cora monatelang auf einem Dachboden verstecken. Als sie von dort ausbricht, lernt sie, dass hier mit der Sklaverei auch die Sklaven beseitigt werden sollen. Nur deren Leichen lassen sich nicht so leicht entsorgen.

An jeder Station, die die Underground Railroad anfährt, droht neues Unheil. Besonders eindrücklich: Mancherorts wird die unrühmliche Vergangenheit zum Themenpark, ehemalige Sklaven – darunter auch Cora – werden als Sklavendarsteller ausgebeutet. Auch mit den größten Untaten lassen sich einträgliche Geschäfte machen.

Dass Coras Odyssee kein wirkliches „Happy End“ nehmen wird, darf veraten werden. Das Wort „Optimist“ kann sie am Schluss zwar lesen, aber sie weiß nicht, was das sein könnte, ein Optimist. Nein, „Underground Railroad“ entlässt einen einigermaßen ernüchtert. Und taugt auch deshalb zur Allegorie auf die Gegenwart: Im April 2016 – da war der Roman in den USA bereits erschienen – gab das Finanzministerium bekannt, dass die wohl bekannteste Aktivistin der echten Underground Railroad, Harriet Tubman, künftig auf der 20-Dollar-Note abgebildet werden soll. Bislang zierte den Schein ein Porträt vom offen rassistischen US-Präsidenten Andrew Jackson. Unmittelbar nach seiner Wahl kritisierte Donald Trump das Verschwinden Jacksons zugunsten einer schwarzen Frau, die ihr Leben riskierte, um andere zu retten, als „zu hart“.

Roman Colson Whitehead: Underground Railroad. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, Hanser, 350 Seiten, 27,40 Euro.